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schildern, so müssen wir sagen, dass er ein überwiegend subjec- tiver ist. Die kalte nüchterne Objectivität, welche in den Spalten derTimes, derAugsburger Allgemeinen, derKölnischen und in fast allen grossen norddeutschen Journalen jede politische Frage mit der Kühe des secirenden Anatomen behandelt, fehlt der Öster­reichischen Presse gänzlich. So wie das österreichische Volk seine Politik mehr mit dem Herzen als mit dem Kopfe macht, so folgen die österreichischen Zeitungen spontan den momentanen Eingebungen des bewegten öffentlichen Gefühls. Verlange Niemand in bewegten Zeiten von den österreichischen Journalen ruhige nüchterne Be­sprechung der brennenden Fragen; die Art, wie z. B. während der Jahre 1864, 1866 und 1870 die sännntlichen norddeutschen Blätterkühl bis in das Herz hinein kritisch die Fragen, welche den ganzen Erdtheil erregten, erörterten, ist in der österreichischen Presse unmöglich und dürfte im Volk auch kaum Anklang finden. Diese subjective Art und Weise der Österreichischen Presse möchten wir nicht beklagen, im Gegentheil, wir finden, dass, wenn dieselbe auch des prikelnden Reizes entbehrt, sie doch dem Inhalt der Journale eine anziehende, lebhafte Frische verleiht. Freilich schlägt dieses bewegte Empfinden bei kleineren Blättern leicht in wahrhaft köstliche Naivität um, die uns fast zu dem Glauben verleitet, Plaudereien politischer Kinder vor uns zu haben. Andererseits aber glauben wir die eigenthümliche Haltung des national-ökonomischen Theiles der meisten Journale auf diese Subjectivität ebenfalls zurückführen zu müssen. Die Wiener Journale besprechen Actien- gesellschaften, Börsenoperationen u. s. w. in ihrem sogenannten national-ökonomischen Theil von einem Standpunkt aus, der ledig­lich privatökonomisch genannt werden muss, aus jeder Zeile leuchtet das persönliche Interesse pro oder contra des Journaleigenthümers heraus, und diese Erscheinung mag wohl dazu beigetragen haben, die Wiener Presse in den Ruf der Corruption zu bringen. Wenn­gleich wir die Existenz dieser Corruption weder bestreiten können, noch bestreiten wollen, so dürfen wir wohl behaupten, dass gerade auf diesem Gebiete die Wiener Zeitungspresse besser ist als ihr Ruf.