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Die alte, von Zang gegründete „Presse“, welche fast allen später gegründeten Blättern /nun Vorbild diente, hat im Laufe der Zeit viel von ihrem einstigen Glanz und Einfluss eingebiisst. Vertreterin des österreichischen Centralismus ist sie noch heute, wenn auch nicht so schroff wie zu Zeiten Zang’s, und ihr gemässigter Liberalismus bringt sie in den Verdacht, halb oder ganz ofliciöses Blatt der Legierung zu sein.
Das bedeutendste Blatt Wien’s, unbedingt ein Weltblatt im eigentlichen .Sinne des Wortes ist die „Neue Freie Presse“. Sie hat leider durch den Tod Dr. Max Friedländer’s einen unersetzlichen Verlust erlitten, der namentlich neuerdings in dem fühlbar werdenden Mangel an redactionellen Takt und in der Auswahl des Stoffes zu 'Page tritt. Ausgezeichnet sind die vielen Verbindungen des Blattes nach auswärts, wodurch es in den Stand gesetzt ist, stets die neuesten und zuverlässigsten Nachrichten zu haben, sehr gut und geschickt redigirt ist das Feuilleton, dagegen bedeutungslos der national ökonomische Theil, seitdem der Einfluss der Unionbank, der Besitzerin des grössten Theiles der Actien der Neuen Freien Presse, sich zu sehr geltend macht.
Casimir d. h. Baron Gustav von Heine - Geldern lässt sein altes „Fremdenblatt“ genau noch in der alten harmlosen, wie es scheint, mehr für die Cafeschwestern als für ein politisches Publikum berechneten Weise redigiren, wie vor zwanzig und dreissig Jahren, und — par nobile frntum - - es existirt auch das „Neue Fremdenblatt“, welches genau ebenso redigirt ist, nur dadurch sich unterscheidend, dass es stets das Gegentheil von dem behauptet und vertheidigt, was das alte Fremdenblatt vertritt. Petrefacte einer vergangenen Bildungsperiode!
Zwar nicht das bedeutendste, wohl aber vielleicht das einflussreichste Blatt Wien’s ist das „Neue Wiener Tagblatt“. Es ist das Organ der Börsencoulisse und des demokratischen Wiener Kleinbürgerthums und theilt alle Vorzüge und Schwächen dieser beiden Klassen, ln Börsenangelegenheiten gut unterrichtet, besitzt es auch das dem Börsenpublikum eigenthümliche feine