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hasst, oder bei einer befreundeten Präsidentin in der Provinz, wo sie sich nach der Residenz sehnt. Sie führt stets ein französisches Tagebuch und empfängt in den Winterdämmerstunden heimlich Kammerfrauen von Erzherzoginnen, umim Laufenden zu bleiben. 0 diese köstlichen, verschlossenen, exclusiven, alten Wiener Paläste! Keine andere Residenz der ganzen Welt hat ähnliche mehr auf­zuweisen; sie bewahren noch ein Bischen das vergangene spanische Hof-Air und ein Bischen den vergangenen französischen Geist aus dem Salons der Sevigne.

Eine völlig verschiedene Physiognomie hat der ungarische Adel in Wien. Er hat seine ureigensten Formen behalten. Er führt sein Leben in freieren, grösseren Dimensionen gleichsam, sowie er auch lauter spricht und kräftiger auftritt. Der ungarische Adel hat immer etwas Jngendfrisches, Uebermüthiges, auch wenn er schon einen grauen Schnurbart hat. Sein Kennzeichen ist eine unver­gängliche ITeberkraft in Allem und Jedem. Er liebt den äusseren Glanz im Costiim und Leben, und hat seine laute Freude daran. Der ungarische Edelmann ist erst dann echt, wenn er in der ganzen Pracht seines Sammt - Pelzes und seiner Brillanten er­scheint.

Ebenso gibt es nichts Blendenderes, als die ungarische Dame in ihrem National - Ilofcostüm. Der ungarische Adel ist ver­schwenderisch ; und selbst der Geizige macht da seine etwaigen Knausereien bei verschlossenen Thiiren ab, und ni >mals dann, wenn die Thore seines Palastes geöffnet sind.

Der ungarische Adel ist viveur im vollsten Sinne des Wortes. Er lebt rasch und kräftig. Diese Lebenslust hat aber nichts Frivoles an sich, und das reitet ihn vor dem Cynismus, welcher sich zu manchen Zeiten an manchen Höfen unmerklich breit machte. Der ungarische Adel zählt die schönsten Männer und wunderschöne Frauen, und so lässt ihm auch das ganz liebenswürdig zur Schau getragene Selbstbewusstsein und die Eitelkeit nicht übel, die er wie eine Agraffe auf den lvalpak oder in die schwarzen Flechten steckt, so dass sie weithin sichtbar sind.