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In den ungarischen Adelshäusern Wiens ist immer sommer­liches Wetter: Thüre und Fenster stehen offen für die Gäste, der Tafelmeister ist eine wichtige Person, und die Dame tliut dem Freunde Bescheid mit dem Glase in der Hand.

Der ungarische Adel hat sein Air Niemandem abgelauscht: weder der Tradition noch der Mode. Er ist ein Unicum, reich an Schönheit und Kraft, sehr laut, sehr selbstbewusst und sehr frei­gebig sowohl mit seiner Schönheit, wie auch mit seiner Kraft. Der ungarische Adel ist das, was der Engländergorgeus nennt. Es ist ein embarras de richesse in ihm, welcher augenblicklich den ganzen Salon, den ein ungarischer lleld oder eine ungarische Schönheit betritt, derselben zu eigen gibt für die Dauer des Abends.

Der böhmische Adel hat wiederum eine ganz verschiedene Physiognomie. Er macht die Majorität der historischen Namen in Oesterreich aus. Er hat eine freundliche, fast behäbige Miene. Er ist fast ausnahmslos reich im edelsten Sinne des Wortes. Die Grund­besitze in Böhmen, seit Jahrhunderten an den Glanz bestimmter Namen geheftet, sind gleichsam der überquellende Exotismus des Landes. Die Burgen ertrinken förmlich in den reichen Parks, zwischen dunkelschattigen Wäldern und köstlichen Fernsichten. Der Bauer ist da ein kleiner Grundbesitzer, die Beamten der Herrschaft sind fast souverän und der Adel selber hat die Sicherheit einer seit Jahrhunderten unangefochtenen, historischen Zelebrität: die Auersperg, Schwarzenberg, Kinsky, die Lobkowitze, die Thuns, die Kaunitzc, die Dubskys und wie sie alle heissen, sind so eng mit dem Boden vcnvachscn, dass sie gleichsam die Halbgötter dieses Bodens sind: fröhlich, feierlich, selbstbewusst und eigenwillig. Sic sind stets ein wenig selbstständig, sogar am Hofe, aber es steht ihnen gut an. Sie haben nicht die materielle Politik erwählt wie der lebenslustige Ungar, sondern die religiöse.

Der böhmische Adel hält sich fest an die Tradition und vertheidigt den Priester, dem seine Acltern gebeichtet haben. Es liegt auch eine Grösse in dieser Politik, welche aus der Pietät entspringt.