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liehen Stabsoffiziers ist. Sie ist vielleicht um einen Grad auf­richtiger und barscher als die Grätin, aber in einem gegebenen Falle auch um einen Grad inniger.

Alle Offiziere des Regiments sind ihre ständigen Gäste, und jeder Gast ist gleichsamein Kind des Hauses. Wenn ein junger Offizier so fern von seinen Aeltern krank wird, dann ist es die ärarische Dame, welche ihm aus ihrer Küche die Krankenkost sendet, und die selber ankommt in der Krankenstube, mit dem Fourier- schiitzen an der Seite, welcher weiche Kissen und Fleischkonserven trägt. Wenn die jungen Leute Schulden haben, tindet sie Auswege, und wenn sie einen Streit eingehen, tindet sie eine Versöhnung. Sie ist oft noch jung und schön, aber ihre Stellung als Regiments­mama gibt ihr eine solche Würde, dass weder die Ycrläumdung noch die Böswilligkeit ihren guten Eintluss begeifert.

Der bürgerliche Oberst oder der bürgerliche General selber (der durch seinen Stand dem höchsten Adel gleichgestellt wurde) ist äusserlich der Popanz der jungen altadeligen Welt, die ihm subaltern ist, aber innerlich ist er doch ihr gütigster Freund. Er freut sieh, die junge Welt in seinem Hause zu sehen, und er brummt meistens nur, um nicht für schwach zu gelten, und schreibt den betreffenden Vätern heimlich die besten Sachen über die wilden, leichtsinnigen Söhne, die ihm so viel Aerger machen, und ihm doch so ans Herz gewachsen sind.

Nach dem Degen-Adel kommt der Geldadel.

Der Banquier oder der Industrielle, welcher hoffähig wurde, spielt keine kleine Rolle in Wien. Sein Palast ist der grösste und schönste; derselbe bildet oft für sich allein eine Fronte von vier Gassen. Er ist prachtvoller als ein kaiserliches Schloss, kost­barer, als ein öffentliches Stadthaus. Er ist hoch, wie das Opern­haus, und seine Fenster sind nicht zu zählen. Goldene Simse mit künstlerischen Gruppen rehaussirt, bilden ihm ein herrliches Diadem, und lebende Gärten und Glaspavillons schmücken sein Haches Dach. Die Zimmer des Palastes sind Prachtsäle und seine Corridors und Treppenhäuser sind Kunstwerke der Stukatur und des decorativen