Die ausserordentliche Leistungsfähigkeit der Spinnmaschinen konnte nur dadurch erreicht werden, dass man denselben das Spinnmaterial in einem äusserst weit getriebenen Grade der Vorbereitung in höchster Gleichmässigkeit zuführt, damit ihnen nur die letzte Verfeinerung und Zusammendrehung des Faserbündels obliege. Diese Vorbereitungsarbeiten erscheinen, wenn man einerseits das Rohmaterial in seinem oft stark verunreinigten und verworrenen Zustande, andererseits den schliesslichen Garnfaden betrachtet, schon bei der ersten Ueberlegung so difficiler Natur, man möchte sagen, so ungeeignet für maschinelle Verrichtungen und so viel menschliches Gefühl erfordernd, dass man ihre Ausführung durch mechanische Hilfsmittel kaum für möglich halten sollte. Es bedurfte denn auch des grössten Aufwandes von Scharfsinn und des geistigen Zusammenarbeitens der Erfinder aller Culturnationen, um die sich entgegenstellenden Schwierigkeiten zu besiegen und den ganzen Spinnprocess von Anfang bis zu Ende zu einem selbstthätigen zu gestalten.

Wenn irgend eine Industrie den eingangs gethanen Ausspruch, dass in den letzten 150 Jahren mehr Erfindungen geschahen, als in Jahrtausenden zuvor, deutlich zu illustriren vermag, so ist es jene der Verarbeitung der Baumwolle. Es kommt Einem heute beim Betrachten einer Baumwollspinnerei ganz unglaublich vor, dass zu jenem, doch so nahen Zeitpunkte, nämlich um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, die aus dem Ballen genommene Baumwolle mit den Händen zerzupft, auf einem mit einem Sieb besetzten Tisch mit Stöcken oder Schlägeln zum Entfernen der groben Unreinigkeiten geschlagen und hierauf partienweise auf einer festliegenden schiefen Krempel mit den Fingern ausgebreitet und mit einer zweiten mit einem Handgriff versehenen Karde gekratzt wurde. Und wie mühsam geschah die Arbeit auf den Baumwollplantagen zum Entfernen der Samenkörner, an welchen die Fasern haften! Heute besorgt Alles und Jedes die Maschine. Auf den Plantagen arbeitet die Egrenirmaschine, und Dampf- oder hydraulische Pressen zwängen möglichst viel Baumwolle in einen Ballen. Die hartgepressten Faserklumpen werden dann in der Spinnerei durch die Ballenbrecher gelöst und durch Lattentücher den einzelnen Misch­kammern selbstthätig zugeführt. Aus diesen den automatischen Speiseapparaten (Hopper feedern) über­geben und in eisernen Schläuchen durch Staubkammern mittelst des Luftstromes weitergetragen, gelangt die derart schon von den gröbsten Unreinigkeiten befreite Baumwolle zu den Openern und Schlag­maschinen, welche das Auflockern und Reinigen gründlichst vervollständigen. Welch ein Gegensatz zu dem Schlagen mit Stöcken durch Handarbeit! Nicht minder gross ist der Unterschied der Handkrempel zu den heute verwendeten Krempelmaschinen, den modernen Karden mit revolvirenden Deckeln, mit ihrer mathematisch genauen Einstellbarkeit der Trommelachse und Deckelbogen und ihrer minutiösen Aus­führung aller Theile.

Haben nun aber Opener und Karden doch ein Analogon in dem alten Verarbeitungsprocess der Baumwolle in den Handschlägeln und Handkratzen gehabt, so war ein solches für die auf die Karden folgenden Maschinen früher gar nicht vorhanden. Es war vielmehr ganz und gar der Geschicklichkeit des Arbeiters anheimgegeben, wie er aus dem gekrempelten Rohmateriale möglichst gleiche Partien Fasern zu gewinnen und aus ihnen auf den Spinnrädern Garnfäden zu erzeugen vermochte.

Heute liefern die Karden das Material, in dem die Fasern, vollständig von einander gelöst, isolirt liegen, in Gestalt einer Lunte ab, die, um in ihren Querschnitten vollständig gleichmässig zu werden, in die Länge gestreckt und im selben Masse mit anderen Lunten zusammengeführt (duplirt) wird. Dieses Verstrecken und immer wiederholte Dupliren geschieht bei Herstellung feiner Garne in ganz unglaublich weitgetriebenem Masse, so dass die letzte Lunte, die schliesslich zum Zusammendrehen geeignet befunden wird, aus vielen Tausenden der von den Karden gelieferten besteht, ohne jedoch dicker als diese zu sein, da sie ja stets ebensoviel gestreckt, also wieder verfeinert wurde. Schliesslich wird dann die Lunte auf die Stärke des Garnfadens verzogen und zusammengedreht, gesponnen und geschieht dies stufenweise auf drei bis fünf Vorspinnmaschinen und zum Schlüsse den Feinspinnmaschinen, als welche die schon erwähnten Selfactoren für weich gedrehte und feinste, Ringspinnmaschinen für stärker gedrehte Garne Anwendung finden. Welch Wunderwerke von Scharfsinn und Genialität alle diese Maschinen vorstellen, davon vermag wohl nur der Fachmann sich die richtige Vorstellung zu machen!

In Oesterreich verschaffte sich die Baumwollspinnerei schon relativ frühzeitig Eingang, indem bereits Anfangs unseres Jahrhunderts eine Reihe der hervorragendsten Etablissements in Niederösterreich, wie beispielsweise jenes in Pottendorf, entstanden. Es kann daher nicht Wunder nehmen, dass sich unser Vaterland an den geistigen Mitarbeiten für eine erfolgreiche Entwicklung dieses Industriezweiges lebhaft

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