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I. In Italien (1848—1855)
Militär und Klerus, waren emsig daran, zu vernichten, was noch an das Jahr 1848, an die Bestrebungen des nach geistiger und politischer Freiheit strebenden Volkes erinnerte. Anderseits witterte man in jedem Vorschläge eines einzelnen, selbständig denkenden, tatkräftigen Mannes, wie es wohl auch Negrelli war, bedenkliche Zeichen einer Auflehnung gegen die Zentralgewalt und die leitende Politik und zögerte schon deshalb, ihm Folge zu geben. Eine übermütige Günstlingswirtschaft wurde durch die Berufung des Grafen Grünne an die Spitze der Adjutanten eingeleitet; dieser allmächtige Günstling des Kaisers drückte das Kriegsministerium zu einer reinen Intendanturbehörde 28 herab und beschränkte auch, nachdem es ihm nicht gelungen war, Radetzky in den Ruhestand zu schicken, 29 wenigstens seine Macht in Italien in empfindlicher Weise, indem er die beiden Statthalter in Mailand und Venedig seinem Einflüsse entzog und unmittelbar dem Ministerium unterordnete. Daß Grünne dem Feldmarschall nicht hold und infolgedessen auch gegen Negrelli, dem Radetzky besondere Huld erwies, nicht freundlich gesinnt war, hatte Negrelli selbst bei seinem Aufenthalte in Wien erfahren; Grünne ließ ihn wiederholt lange Vorzimmern, empfing ihn kühl und zeigte ihm erst dann, als der Kaiser an ihm Anteil nahm, freundlichere Miene und scheinbar verständnisvolles Eingehen in seine Vorschläge.
Diese selbst fanden unter solchen Umständen begreiflicherweise nicht die von Negrelli erhoffte, weil von allen Ministern zugesagte Erledigung. Anfangs Juni meldete Negrelli seiner Lotti aus Modena, wo alles wieder den gewohnten, behinderten Gang ging, daß aus Wien drei Dekrete eingetroffen wären, die eine baldige Änderung erhoffen lassen, sowohl im Dienste wie in seinen persönlichen Verhältnissen; gleichzeitig ersuchte