3. Die letzten Jahre in Verona
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willen bei. Auch die vielfachen Störungen, denen die Eisenbahnarbeiten infolge der mehrere Monate andauernden Regengüsse ausgesetzt waren, verstimmten ihn. „Alle Flüsse“, schreibt er anfangs Juni an Escher in Zürich, „sind angeschwellt und es können die Flächen ihre Wasser nicht abführen, daher immense Länderstrecken noch unbebaut sind. Nur die Seidenzucht gedeiht dieses Jahr über alles Erwarten gut.“ Dem Regen folgte ein sengender Sommer; die brennenden „Calori“ quälten Negrelli und seine Familie, die es versäumt hatte, rechtzeitig der Glut der Veroneser Straßen zu entfliehen und, wie es Negrelli geraten, in Primieros kühlenden Talgründen Schutz und Erholung zu suchen.
Zu den großen, ernsten, quälenden Fragen des Berufes traten die vielen kleinen Sorgen und Ärgernisse, die jeder Beruf mit sich bringt und die Keinem erspart bleiben. Freilich, an der leitenden Stelle, die Negrelli einnahm, wuchsen auch diese Unannehmlichkeiten zu Ausmaßen an, die bedrückend wirkten. Die Bitten der Gemeindeverwaltungen bezüglich der oder jener Bahnlinie, die entscheidenden Wünsche einer hohen geistlichen Behörde bezüglich der Lage eines Bahnhofes, die Empfehlungen einzelner Stellensuchender seitens hoher Militärs ließen sich eben nicht mit einem kurzen „es geht nicht“ abtun. Negrelli stand immer auf dem Standpunkte, daß das allgemeine Wohl nicht persönlichen Interessen geopfert werden dürfe, und er hat diesen Standpunkt gegen jedermann, auch gegen die damals allmächtigen Größen, Klerus und Militär, streng gewahrt; besonders scharf trat er dem üppig wuchernden Gönnertum im Beamtenstande entgegen; auch ein Bruck und ein Heß konnten ihn bei der Festhaltung seiner Grundsätze über die Wertung der Beamteneignung nicht beirren; kennzeichnend ist ein Brief an Lotti, in dem