tung emporheben könne, wie dieselbe sie heute thatsächlich besitzt. Kein Zweig der österreichischen Gross-Industrie ist demnach mehr geeignet, die Fortschritte zu beleuchten, welche in den letzten fünfzig Jahren gemacht worden sind, als die Papier-Industrie. Wir verdanken dies der Einführung der Papiermaschine, noch mehr aber dem Holzreichthum unseres Vaterlandes und Seinen reichen Wasserkräften, die in der Folge der unerschöpfliche Born geworden sind, aus welchem die österreichische Papier-Industrie schöpfte und die Mittel entnahm, um gross und exportkräftig zu werden.
Die geordneten Zustände Anfangs der Fünfzigerjahre schufen zahlreiche neue industrielle Unternehmungen. Die Papier-Industrie blieb hierin nicht zurück. Eine Zahl grösserer Fabriken wurde neu gegründet, noch mehr aber äusserte sich der erwachte Unternehmungsgeist in der Umwandlung bestandener Papiermühlen zu Fabriken mit maschineller Anlage und mechanischem Betrieb.
Der fast ausschliesslich einzige Rohstoff für die Papierfabrication war noch die ganzen Fünfzigerjahre hindurch Hadern (Lumpen). Schon zwanzig Jahre vorher konnte dieses für die Papierfabrication kostbare Material nicht mehr in genügender Menge aufgebracht werden. Die immer fühlbarer werdende Hadernnoth war eben eine Folge der vermehrten Erzeugung durch die Maschine. Man suchte Ersatzstoffe für die Hadern zu finden und versuchte die mannigfachsten Pflanzenstoffe, kam aber zu keinem dauernden praktischen Resultat.
Im vorigen Jahrhundert hatte bereits der Regensburger Pastor Dr. Schäffer versuchsweise mit viel Kunst und Geschick Papier aus Pappelwolle, Wespennestern, Stroh, Moos, Disteln u. a. m. bereitet, da schon damals an vielen Orten ein Mangel an Hadern sich zeigte. In seinem 1765 verfassten Buche veröffentlichte Dr. Schäffer Muster von Papieren, die aus den genannten Materialien verfertigt waren, wofür ihm Kaiser Josef II. eine goldene Gnadenkette mit des Kaisers Bildnis sandte. Die Schäffer’schen Erfindungen fanden jedoch wegen ihrer schwierigen Ausführbarkeit bei den Papiermachern keinen Boden und geriethen bald wieder in Vergessenheit. Unter den Versuchen, welche in neuerer Zeit in dieser Richtung in Oesterreich und im Auslande gemacht worden sind, ist jedenfalls die Idee, aus den Kolbenumhüllungen der Maispflanze ein Surrogat herzustellen, die bemerkenswertheste. Der Director der k. k. Staatsdruckerei in Wien, Hofrath Alois Auer Ritter v. Welsbach (gestorben 18 6g), bekannt durch seine reiche Initiative und ausdauernde Energie führte mit Erfolg eine Reihe von Verbesserungen im Betrieb der ärarischen Papierfabrik »Schlöglmühl« (heute Actien-Gesellschaft der k. k. priv. Papierfabrik »Schlöglmühl«) durch. So hatte er unter Anderem sein Augenmerk auf das in Ungarn in grosser Menge producirte Maisstroh gerichtet, und beschäftigte sich mit Versuchen, aus den schmiegsamen, faserreichen Blättern der Maiskolben Papier herzustellen, was auch gelang. Nebst verschiedenen Anderem wurde bereits ein Theil des österreichischen Ausstellungskataloges für die internationale Ausstellung 1862 in London auf österreichischem Maispapier gedruckt und damit der Beweis seiner Brauchbarkeit hergestellt. Die dem Maispapiere anhaftenden Uebelstände der Härte und Durchsichtigkeit hätte die Technik wohl noch entfernt, wenn nicht in der Folge bequemere und vor Allem billigere Hilfsstoffe für die Papierfabrication gefunden worden wären.
Ein Zufall — die Beobachtung des Baues eines Wespennestes — brachte den sächsischen Weber Friedrich Gottlob Keller auf den Gedanken, durch Zerfaserung des Holzes ein verfilztes Blatt herzustellen. Die von dem Erfinder praktisch entwickelte Idee, durch Schleifen des Holzes mittelst Schleifstein und Wasser einen neuen brauchbaren Faserstoff zu gewinnen, gieng auf den deutschen Maschinenfabrikanten Heinrich Voelter über, welchem Keller sein Patent verkauft hatte. Weiter construirte und lieferte Ende der Fünfzigerjahre seine ersten brauchbaren Holzschleifmaschinen (Defibreurs). Das gewonnene Product hiess der »Holzschliff« oder »Holzstoff«.
Der neue Rohstoff erforderte zu seiner Herstellung vor Allem Wasser mit Gefälle, um die noth- wendige Antriebskraft zu liefern, und Holz. Wo konnten diese Bedingungen besser vereint gefunden werden als in Oesterreich, das in seinen Bodenerhebungen zahlreiche Wasserläufe und in seinen ausgedehnten Fichtenwäldern das beste Holz besitzt?
In Oesterreich wurden bereits Mitte der Fünfzigerjahre, also zu einer Zeit, als Keller und Voelter ihre Schleifapparate construirten und ihre Wrsuche noch nicht beendet hatten, Schleifversuche gemacht. So liess sich 1856 Ingenieur Wilhelm Hamburger in Pitten einen amerikanischen Apparat kommen, mit dem er für die Actien-Gesellschaft der k. k. priv. Pittener Papierfabrik Holzstoff erzeugte. Wenig später machten die Fabriken von Kranz in Andritz bei Graz, E. Regen in Gumpoldskirchen und Aemil Neumann in Oberweiss bei Gmunden mit allerdings noch unvollkommenen Hilfsmaschinen Versuche, Holzschliff her-
Die Gross-Industrie. V.
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