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Die Groß-Industrie Oesterreichs : Festgabe zum glorreichen fünfzigjährigen Regierungs-Jubiläum seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. dargebracht von den Industriellen Österreichs 1898 ; Fünfter Band
Entstehung
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Zu den ältesten der noch bestehenden chemischen Etablissements gehört auch die im Jahre 1834 von Carl Reisser gegründete chemische Producten- und Zündkapselfabrik der Firma Victor Alder in Wien. Carl Reisser hatte ursprünglich die Erzeugung von pharmaceutischen Präparaten und insbesondere von Cyankalium fabriksmässig betrieben. Im Jahre 1867, nachdem schon zehn Jahre zuvor der Sohn des Gründers, Carl Reisser jun., die Firma übernommen hatte, trat Victor Alder als Gesellschafter ein, auf dessen Initiative hin die Fabrication von Zündkapseln im grossen Style aufgenommen und die damit im innigen Zusammenhänge stehende Erzeugung von Knallquecksilber und diversen Zündsätzen gepflegt wurde. Die Zündkapsel-Industrie war durch Selber & Beilot in Prag im Jahre 1825 in Oesterreich gegründet worden, welche Firma noch heute die grossartigste Unternehmung auf dem Gebiete der Zünd- und Sprengkapsel- uncl Patronenfabrication repräsentirt. Im Jahre 1873 errichtete Victor Alder im X. Bezirke Wiens eine neue, gross angelegte Fabrik und producirt in der mit überaus sinnreichen maschinellen Einrichtungen aus­gestatteten Betriebsanlage gegenwärtig im grossen Maassstabe Zündkapseln, ferner Cyanpräparate und pflegt dabei noch immer den ursprünglichen Wirkungskreis der Firma: die fabriksmässige Erzeugung von pharmaceutischen Artikeln.

Gleich der von Reisser in Wien begründeten, entstanden um das Ende der Dreissiger- und im Anfänge der Vierzigerjahre noch einige ähnliche Fabriken in Wien, sowie in anderen Orten Oesterreichs, die aber schon seit längerer Zeit vom Schauplatze verschwunden sind. Hieher gehören die von Ignaz Edlen von Würth gegründete, später in Gemeinschaft mit Georg Will betriebene Fabrik chemischer Producte und pharmaceutischer Präparate in St. Ulrich in Wien, welche später nach Atzgersdorf bei Wien verlegt wurde, wo Würth & Co. einen stattlichen Neubau aufführten, der nach Auflassung des Würthschen Unternehmens von Dr. Carl Auer von Welsbach erworben wurde und in dem derzeit die fabriksmässige Herstellung der Glühkörper für Auerlampen, sowie die Fabrication der zu deren Er­zeugung dienenden Salze seltener Erden in grosser Ausdehnung betrieben wird. Andererseits zählt hieher die von dem Apotheker Lammatsch in Wien, Wieden, errichtete Fabrik pharmaceutischer und chemischer Präparate, dann die um das Jahr 1836 von dem Apotheker Ludwig Ploy in Oberndorf errichtete, später in die Nähe von Vöcklabruck verlegte chemische Fabrik, in welcher derselbe Schwefel­säure, Essigsäure, Aether, nebst anderen chemischen Präparaten erzeugte und auch im Jahre 1840 als erster in Oesterreich die Fabrication von Phosphor einführte.

An dieser Stelle ist die von Joh. Nep. Batka in Prag errichtete und später nach Lieben nächst Prag verlegte chemische Fabrik zu nennen, in welcher derselbe diverse chemische Präparate, speciell für chemische Laboratorien und Apotheken, erzeugte.

Eine angesehene Stellung in der chemischen Industrie nehmen die Fabrik chemischer Producte in Hrastnigg in Steiermark und die Gräflich Larischsche Sodafabrik in Petrowitz in Oesterreichisch- Schlesien ein, die später eine eingehende Besprechung erfahren.

Die erste österreichische Sodafabrik in Hruschau wurde im Jahre 1851 von Josef Maria von Miller zu Aichholz im Vereine mit Karl Hochstetter gegründet und auf den Leblanc-Process eingerichtet. Nebst der Erzeugung von Soda und Aetznatron, für deren Fabrication sie den Bedarf an Schwefelsäure selbst herstellte, pflegte sie auch die Gewinnung der Nebenproducte des Leblanc-Processes, insbesondere der Salzsäure und des Chlorkalks. In dieser Fabrik wurde zuerst in Oesterreich der Revolverofenbetrieb eingeführt, ebenso war sie die erste, welche für die Calcinirüng der Soda den von James Macteur er­fundenen rotirenden Ofen in Anwendung brachte, und hat sie auch 'im Jahre 1890 als erstes und bisher einziges Etablissement in Oesterreich und Deutschland den Chance-Claus-Process zur Durchführung gebracht.

Die chemische Fabrik Carl Rademacher & Co. in Karolinenthal wurde im Jahre 1857 von Carl Rade­macher im Vereine mit Eduard Prochaska begründet. Carl Rademacher gebührt das Verdienst, in seinem Eta­blissement die Fabrication von Potasche aus Schlempekohle in Oesterreich zuerst aufgenommen und damit eine sehr vortheilhafte Verwerthung der Melassenschlempe eröffnet zu haben. Später pflegte er auch die Erzeugung von Kalisalpeter. Eine wesentliche Erweiterung fand der Betrieb durch die Aufnahme der Verarbeitung des Kryoliths zur Darstellung von Soda und schwefelsaurer Thonerde, die von Rademacher als erstem in Oesterreich eingeführt wurde. Die auf diese Weise hergestellte schwefelsaure Thonerde verdrängte den früher ausschliesslich angewandten Alaun nahezu ganz. Als sich der Ivryolith wegen seiner Heranziehung zur Glas- fabrication (zur Darstellung von Milch- und Alabasterglas) immer mehr vertheuerte, wurde für ihn im Bauxit ein geeigneter Ersatz gefunden, auf welchen schon vonBerthier (1821) aufmerksam gemacht worden war und

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