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Es ist begreiflich, das; unter solchen Umständen es vieler Wunsch ist, doch auch reich zu sein, um es so gut zu haben wie die beneideten anderen. Nur zu bald sind derartige Wünsche zerstört; die Reichen, bei welchen die Armen arbeiten, wachen mit Argusaugen, um von ihrem Besitzstand keinen Kreuzer abzulassen, sie bemühen sich vielmehr, diesen ausgiebig zu vermehren. Tatsächlich gelingt dies vielen; die Armen bleiben arm, führen schwere Kämpfe ums tägliche Brot, wahrend sich das Bermögen der Reichen stetig vermehrt. Auf einer Seite furchtbarste Armut, bei vielen Hungersnot, aus der anderen Seite wahnsinniger Reichtum. Die große Masse des Volkes, die vielen Millionen Arbeitsinenschcn standen lange wehrlos den im Ueberfluß Schwelgenden gegenüber.
Aber endlich wurde eS licht in den Kopsen der Armen, es begann zu dämmern, aber nur Männer waren es, die von der Idee durchdrungen wurden, daß es möglich sei, das Elend zu beseitigen. Nur wenige Frauen erwachten gleich den Männern aus ihrem dumpfen Schlafe. Bei dieser Gleichgültigkeit der Frauen mußte es kommen, daß die Männer in ihren eigenen Klassengenossinnen nicht nur Konkurrentinnen in der Fabrik, sondern sehr oft erbitterte Gegnerinnen in ihrem -Ltreben nach Befreiung hatten. Die Arbeiter erkannten die Tatsache, daß die arbeitenden Menschen nur solange schwach und ohnmächtig bleiben, als sie, zersplittert und uneinig, eine unorganisierte Masse sind, daß dies aber mit einem Schlag sich ändert, wenn alle Armen und Unterdrückten gemeinsam fühlen und auch gemeinsam handeln; das männliche Proletariat raffte sich auf, um sich zur gemeinsamen und planmäßig küinpfenden Macht zu organisieren. Unter dein Banner der S o z i a l d e in o k r a t i e sammelten sich die nach Freiheit Strebende». Die Frauen blieben abseits und sahen verständnislos und unempfindlich, oft aber feindselig, die Kämpfe ihrer Brüder und Klasseugenossen! Und die Gegner der endlich erwachten Arbeiterschaft gewahrten mit Behagen die weibliche Berständnislosigkeit und begannen mit dieser zu spekulieren.
Was wurde nicht alles hervorgesucht, um die Frauen und Mädchen von der Sozialdemokratie abzuhalten! Als die Personifizierung von allem Bösen, als die Zerstörer von allem Schönen, Edlen und Heiligen wurden die Verkünder der Macht des Proletariats dargestellt. Nur allzu leichtes Spiel war mit den Frauen; in deren Köpfen hatte man eine Menge Vorurteile großgezogen, die jetzt als treffliche Bundesgenossen benützt wurden. In allen Kirchen, von allen Kanzeln begann man gegen d>e Sozialdemokraten zu hetzen, stellte diese als gottlose, verruchte Menschen hin, welche selbst vor dem Heiligsten, der Ebe und dem Familienleben, in ihrer Zerstörungswut nicht Halt machen werden.
Sehr viele Arbeiterinnen, erzogen in dem Wahne, daß die Kirche und ihre Priester auch die Freunde der Armen seien, schenkten deren „Warnungsrufen" williges Gehör. So manchem Manne wurde der ohnehin karg bemessene Aufenthalt in seinem Heun verbittert durch die Feindschaft, welche seine Lebens- und Leidensgefährtin gegen seine