IV. Die Kämpfe um die Verwirklichung des Kanalentwurfes.
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nicht gerechtfertigte Seitenhieb gegen die Verbindung Wien—Triest legt die Vermutung nahe, daß hinter dem Aufsatze die Franz-Josef- Orientbahn stand, die der tatkräftigen Unterstützung ihrer Konzessionswerbung durch Fiume nicht entraten konnte. Der Gedanke fußte ja —im Grunde genommen—auf richtigen Voraussetzungen und zutreffenden Erwägungen der Handels- undVerkehrsverhältnisse; aber diepolitische Gestaltungder Monarchie ging freilich bald andere Wege, als sie dieser Gedanke eben für seine Verwirklichung voraussetzte.
Für die Studiengesellschaft war jetzt ein entscheidender Augenblick gekommen. Enfantin stand in erbitterter Gegnerschaft zu Lesseps; alle Bemühungen Negrellis, eine Versöhnung herbeizuführen, blieben erfolglos; Lesseps, über Talabot triumphierend, war im Vollgefühle seiner Macht zur Nachgiebigkeit nicht bereit; Enfantin ließ aber seine Pläne nicht fallen, ohne jedoch in die Bewegung einzugreifen; er wollte zuwarten — wollte sehen ob Lesseps die Ausführung des Kanals durchsetzen oder in seinen Bestrebungen scheitern würde — dann käme wieder die Zeit der Studiengesellschaft. Der echte Geist des deutschen Kaufmanns, der — nur das erhabene Ziel vor Augen — bei der Durchführung des gut befundenen großen Unternehmens alles Persönliche beiseite stellt, der aber auch alle krummen Wege haßt und nicht auf schwankendem Grunde baut, dieser Geist des deutschen Kaufmanns, der auch an dem Gegner das Gute schätzt und es für das begonnene Werk nutzen will, offenbarte sich in einem Briefe, den der Leipziger Dufour vor seiner Abreise aus Paris, wo er zu Beginn der Tagung der Ingenieur-Kommission weilte, an Negrelli schrieb. Der Brief, am 28. Juni 1856 geschrieben, lautet. 78 )
Verehrtester Freund! Zwei Mal war ich heute früh bei Ihnen und da ich heute Abend abreise ohne zu wissen, ob ich Sie noch antreffen werde, schreibe ich Ihnen, um Ihnen Adieu zu sagen.
Die Sache Suez scheint mir in ein gutes Geleise zu kommen und de Lesseps Verdienste um den Fortschritt sind nicht zu verkennen, aber im Finanzpunkte ist die Sache noch ganz unreif, de Lesseps ist auch nicht in der Stellung wie man auf Französisch sagt: de lancer l’affaire dans le monde financier.
Ein Geschäft von 2 bis 300 Millionen Franken braucht aber einen tüchtigen finanziellen Pathen, um zu gedeihen und an der Börse willig aufgenommen zu werden. De Lesseps schwebt in dieser Beziehung in Illusionen, er sagt: j’ai plus de capitaux qu’il ne m’en faut: Viele Leute sagen: je prendrai des actions, je prendrai 10 Millions, je prendrai 20 Millions usw. Bis aber die Leute die erste Einzahlung geleistet haben, kann man auf nichts rechnen; um aber die Einzahlungen hereinzubekommen, gibt es nur zwei Mittel: