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Geschichte des Suezkanals.
ruhigte rasch ihre Aufregung. Er erinnerte sie, daß er seit dem Tage, da er eine zivilisierende Sendung empfand, stets nur dieVollendung dieser religiösen Aufgabe im Auge hatte, ohne sie mit Eigenliebe oder geldlichen Bestrebungen zu verquicken. Möge das Werk, das ich vorgemeldet habe — sagte er — vollführt werden, und ich werde der Erste sein, den Vollführer zu segnen. Gewiß wird es gut sein und gerecht, in Zukunft zu wissen, daß die Anregung dieser großartigen Unternehmung von uns ausgegangen ist; aber überlaßt dies der Geschichte. Bis der Isthmus durchschnitten sein wird, wäre es auch ohne uns, so wird es doch vor Allen uns zukommen, zu rufen: Allah kerim!
Und Dufour (Leipzig) schrieb schon im Jahre 1861: „Sollte der Kanal wirklich zur Ausführung kommen,*) so würde der Hauptzweck mehrgenannten Comitees**) erreicht sein, der hauptsächlich darin bestand, die Erbauung des, für die Interessen des Handels der ganzen Welt so wichtigen Kanals zu befördern.“ 90 )
Zu einer so ungewöhnlich hohen sittlichen Auffassung schwerwiegender Arbeit, wie sie Enfantin und Dufour in diesen Äußerungen offenbaren, konnte sich Lesseps freilich nicht aufschwingen ... Nach seinem Tode (1896) ließ die Suezkanalgesellschaft auf einem der Hafendämme in Port Said ein Standbild Lesseps’ errichten, das ihn in etwas gesuchter Stellung als alleinigen Schöpfer des Meereskanals verherrlicht; keiner seiner Vorarbeiter und Mitarbeiter ist genannt. Die bedeutendsten von ihnen hatten die Eröffnung des Kanals nicht mehr erlebt; Negrelli und Bruck waren — wie erwähnt — schon lange tot; Dufour war 1862, Enfantin 1866 gestorben. Lesseps „Erinnerungen von vierzig Jahren“, die 1887 veröffentlicht wurden, suchten das Gedächtnis an die großen Verdienste dieser Männer und anderer Helfer vollständig auszulöschen — Lesseps wurde sogar von deutschen Fachleuten als großer Ingenieur gefeiert, aber Negrelli nur nebenbei erwähnt, wie Einer, der gelegentlich auch einmal in „Suezkanalstudien“ gearbeitet hat! Es wäre ungerecht, Lesseps große Tatkraft und zielbewußte Arbeit nicht voll und ganz anzuerkennen; in einer Frage, deren Lösung von so vielen verschiedenen offenliegenden oder verborgen arbeitenden Einflüssen abhängig ist und erschwert wird — in einer Frage, die nicht rein wirtschaftlicher, sondern auch politischer Natur ist, wird ein Lesseps, der rasch entschlossen handelt und nicht nach allen Seiten hin prüft und wägt, der auch den Mut hat, Hindernisse zu überstürmen oder auf krummen Wegen zu umgehen, gewiß rascher zum Ziele kommen
*) nämlich durch Lesseps.
**) bezieht sich auf das Comité internationale vom Jahre 1846.