100 Die Pyramiden.
Wenn man wieder durch die grosse Galerie hinabsteigt, so versäume man nicht den Brunnenschacht zu beachten, der sich an ihrem untern Ende in die Tiefe senkt. Er lehrt, in welcher ausgesuchten Weise man den Zugang zu dem Sarkophag zu versperren strebte. Das untere Ende des engen Ganges, der die erwähnte Galerie abwärts fort- setzt, war von innen mit Granitblöcken verrammelt worden. Dann kamen die Arbeiter bis hierher wieder herauf, Hessen sich in diesen engen brunnenartigen Schacht hinab, der eben nur ausreicht für einen Menschenleib, und kamen in einer Windung, die nicht mehr ganz zu verfolgen ist, in den untern Gang, der aus der tiefsten Felsenkammer an jener Verrammelung aussen vorbei nach oben führt.
Das Alter der grossen Pyramide ist sehr verschieden angegeben worden. Wilkinson verlegt ihre Entstehungszeit in jene um das Jahr 2123 v. Chr., und Max Duncker spricht sich in seiner Geschichte des Alterthums dahin aus, dass die Erbauung der Cheopspyramide nicht hinter das Jahr 2300 zurückgehc. Andere Schriftsteller halten alle Pyramiden für Werke fremder, nicht ägyptischer Stämme und schreiben sie entweder den Aethiopicrn oder den Hyksos zu, gewiss mit Unrecht. Nach der hebräischen Sage sollen sie von den Kindern Israel errichtet worden und Kornspeicher Josephs gewesen sein. Nach Plinius hat die Aufrichtung der drei Pyramiden von Gizeli zusammen 78 Jahre 4 Monate in Anspruch genommen — eine Angabe, die durch nichts verbürgt ist. Herodot sagt, dass die Erbauung der grossen Pyramide 20 Jahre gekostet, die auf den Ban der zwei grössten verwendete Zeit 106 Jahre in Anspruch genommen und dass nicht weniger als vierhunderttausend Arbeiter damit beschäftigt gewesen.
In der ägyptischen Volkssage, die derselbe alte Schriftsteller mittheilt, ist Cheops ein gottloser Tyrann. Die Aegypter wollten vor Hass die Namen der Pyramidenkönige gar nicht aussprechen — also ein Hass, der sich fast zweitausend Jahre fortgeerbt hatte. Sie nannten die Pyramiden nach einem Hirten Philitis, der in der Gegend geweidet habe. Das sind offenbar die Philister, das Volk der Hirtenkönige, der Hyksos, jener verhasstem fremden Zwingherren Aegyptens in der zweiten Hälfte des z'weiten Jahrtausends vor Christus. Da aber, wie bemerkt, diese Hyksos auf keinen Kall die wirklichen Erbauer der Pyramiden sein können, so müssen wir annehmen, dass die zwei grössten Leidensperioden der ägyptischen Geschichte, die des Pyramiden- baus mit seinem Zwang zu nutzloser schwerer Arbeit und die der Philisterherrschaft, wenn auch mehr als tausend Jahre Zwischenraum ist, in der Erinnerung der Volksseele zu Herodots Zeiten verschmolzen waren.
Die zweitgrösste der Pyramiden von Gizeli, von dem König Chephren oder Cliafra (nach Lepsius, Chronologie S. 302 von dem Sons der Königslisten, dem Vorgänger des Chufu oderSuphis) erbaut, von Belzoni 1810 wieder eröffnet und einst 454, gegenwärtig 447 Fuss hoch, steht etwas höher als die erste, und die Erbauer haben, um Kaum für ihr Werk und einen freien Umgang zu gewinnen, den Felsen