180 Von Theben bis Philä.
reicht ihr die Hand, um ihr zur Entbindung Glück zu wünschen. Sonst ist das Gemach geschmückt mit Bildern, worin der junge Harphre nacheinander dem Amun, seinem Vater Mandu, den Göttern Phre, Phthali u. s. w. vorgestellt wird. Diese bewillkommnen ihn, indem sie ihm ihre charakteristischen Insignien geben, um damit auszudrücken, dass sie sich zu Gunsten des Kindes aller der ihnen zustehenden Vorrechte entäussern würden. Der Ptolemäus Cäsarion ist mit seinem Kindesgesicht bei allen diesen Darstellungen seines im Gotte Harphre enthaltenen Bildes, dessen Stellvertreter er auf Erden war, gegenwärtig — wie bemerkt, eine Schmeichelei der Priester, wiewohl die Vergleichung der Könige mit Göttern ganz im Geiste der alten Aegypter liegt.
Der nächste Ort, wo der Freund des Alterthums wieder Gegenstände von Werth für sein Streben findet, ist die ebenfalls auf dem westlichen Efer gelegene Stadt Esneh, das alte Latopolis. Der hier befindliche Tempel liegt mitten in der Stadt und ist von drei Seiten fast bis an das Dach in Schutt begraben und mit Lehmhütten überbaut. Auch die Vorder- oder Hauptseite ist durch Araberwohnungen sehr versteckt. Das Innere aber ist unter Meliemed Ali von Schutt befreit w'orden und lohnt einen Besuch im hohen Grade. Das, was wir den Tempel genannt haben, besteht eigentlich nur aus der Vorhalle (Porticus oder Pronaos) eines Tempels, dessen Heiligthum und Allerheiligstes verschüttet ist, und man steigt dahin auf einer Treppe wie in einen Keller hinab. Hier erblickt man vor und neben sich vier Reihen kolossaler Säulen, jede Reihe zu sechs Stück, mit Scnlpturen bedeckte Wände und eine schwarze Decke voll Hieroglyphen, welche astronomische Gegenstände behandeln. Champollionsagt, die Basreliefs, die diese Säulenhalle enthält, und noch mehr die Hieroglyphen seien in einem so rohen und gezwungenen Stylo ausgeführt, dass man sogleich den stärksten Kunstverfall entdecke. Wir können diess nicht finden, während wir zugeben, dass der Tempel neuern Ursprungs ist. Es sind in Folge dessen andere Kunstformen, als die, welchen wir in Karnak und im Jlemnonium begegneten, aber unschön wird man sie nicht nennen dürfen. Diese Säulen, die fast 19 Fuss Umfang haben, stehen in dem engen halbdunkeln Raume so leicht und schlank, dass, wenn der im Anfänge drückende Eindruck des Staunenerregenden sich gemildert hat, der Anblick das lebhafteste Gefühl der Freude erregt. Die Knäufe derselben entfalten sich in Papyrus-, Dumpalmen-, Dattelpalmen- und Weinlaubformen, jeder beinahe anders in anmnthigster Laune, zu prächtigen Kelchen. Diese Kelch- oder Tulpengestalt, auf welcher der Würfel sitzt, der die Docke trägt, war in der ältesten Zeit einfach, glattrandig und kreisrund wie eine Schüssel und deutete höchstens durch die Zeichnung daran aufsprossender, den Grund des Kelchs umhüllender Blätter die Entstehung aus der Blume an. Jetzt aber gliedert sich jener kreisrunde obere Rand wieder, grösser oder kleiner in runde Blattformen und schmiegt alle möglichen Pflanzenmotive überaus geschmackvoll an die Tulpenform an. Das Kapital der geschlossenen verjüngten Knospe kommt nicht mehr vor.