Dokument 
In der Heimat - In der Schweiz - In Österreich : mit einem Bildnisse / von Alfred Birk
Entstehung
Seite
47
Einzelbild herunterladen

5. Negrelli in Wien

47

oder andere Umstände ein siegreiches Vorrecht ein­räumten. Das Verhältnis des jungen Praktikanten zu seinem Baudirektor war viel tiefer, freundschaftlicher, als dies sonst bei so weitem amtlichen Abstande der Diätenklassen üblich ist. Privatbriefe Reisachs an Negrelli atmen väterliches Wohlwollen, herzliches Vertrauen. Graf Reisach freute sich des Diensteifers, des Pflichtgefühls Negrellis; er schätzte den jungen Mann wegen seines ehrenhaften Charakters, wegen seines vornehmen Auftretens, wohl auch wegen seiner tiefen Religiosität. Negrelli setzte große Ehre darein, von Allen, mit denen er in Berührung kam, ge­achtet und geschätzt zu werden; das verlieh seinem ganzen Wesen etwas Einnehmendes und Fesselndes ...

Um zu verstehen, daß eine solche Persönlichkeit, auch wenn sie nicht wie Negrelli sich eines angesehenen Namens erfreut hätte, bei den leitenden Männern, bei Graf Reisach, bei Duile Wertschätzung und weit über berufliches Interesse hinausgehende Förderung fand um dies zu verstehen, muß man sich an die Verhält­nisse erinnern, die damals im Beamtenkörper speziell im technischen vorherrschten. Ich habe schon bezüg­lich der fachlichen Bildung und der finanziellen Verhältnisse Näheres angeführt; ich habe auch bemerkt, daß die Verwaltung sehr im Argen lag. Es ist begreiflich, daß der neue Kurs, den die Ver­waltung unter Chotek und Reisach einschlug, viel Unzufriedenheit erregte; man hatte sich ja allenthalben an den Schlendrian, an die Gleichgiltigkeit, ange­mütliche Arbeit gewöhnt. Der neue Kurs richtete sich auch gegen die Parteilichkeit und Bestechlichkeit der exponierten Organe in Straßenangelegenheiten, bei Umbauten, Neubauten und Erhaltung. Aus vielen kurzen Bemerkungen Negrellis in seinen Tagebüchern