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I. ln der Heimat
geht unzweifelhaft hervor, daß es leider nichts ganz Ungewöhnliches war, Entscheidungen bei den Kreisämtern und ihren Organen durch klingende Münze zu beeinflußen; auch Negrelli war solchen „Anfechtungen“ ausgesetzt, aber er blieb standhaft, obwohl sein Einkommen bescheiden war und hinreichen mußte, auch manche Sorge seiner Eltern zu mindern. Aber nicht allein die älteren Kreisingenieure bezeugten ihre Unzufriedenheit mit der Baudirektion durch eine gewisse passive Opposition — auch einige Kreishauptmänner leisteten mehr oder weniger heimlichen Widerstand gegen die Anordnungen und Bestrebungen der Zentralbehörden, so daß in manchen Bezirken, wo sich alle Organe zu einem gemeinsamen Kampfe gegen den neuen Verwaltungsgeist zusammenfanden, tatsächlich kein Fortschritt erzielt werden konnte.
In den wenigen Jahren seiner Tätigkeit im Staatsbaudienste hatte Negrelli gezeigt, daß er die Intentionen der neuen Regierung verstand und daß er fähig sei, ihnen gerecht zu werden, sie zu vertreten, sie durchzuführen. Graf Reisach sah in ihm — das bekunden seine Briefe an Negrelli — den kommenden tüchtigen Mitarbeiter Duiles, vielleicht den kommenden Mann für das Bauwesen Tirols, und er läßt ihm nachhaltige Förderung zu Teil werden. In diesem Sinne unterstützte er auch den Wunsch Negrellis: in Privatangelegenheiten, die vornehmlich das Wohl seiner Eltern betreffen, nach Wien zu reisen, und betraute ihn für diese Reise zugleich mit einer wichtigen technischen Aufgabe: mit dem Studium der Brückenbaufrage, die gerade damals durch die Aufnahme des Eisens als Baustoff in eine neue, hochbedeutsame Periode gelenkt worden war. Bis jetzt kannte man — von den fliegenden Brücken auf größeren Strömen abgesehen — nur