6. Mangel an Capital und geschäftlicher Initiative seitens der österreichischen Ge­schäftswelt. Mit einigen desto anerkennenswertheren Ausnahmen wurde die galizische Petroleum-Industrie dem absolut ungenügenden Landescapital oder der ausländischen Speculation überlassen, so dass erst in der Periode nach i883 grössere und capitalskräftigere Unternehmungen sich etabliren, die im Stande sind, das Geschäft mit der nöthigen Energie und mit der unentbehrlichen technischen Leistungsfähigkeit zu betreiben.

7. Zurückgebliebene Technik. In Amerika wurde in wenigen Jahren nach Emporkommen der Petroleum-Industrie eine höchst vollkommene Bohrtechnik entwickelt, in Galizien aber in den älteren Perioden beinahe nur durch den ursprünglichen Entdecker der Verwendbarkeit des galizischen Petroleums, Herrn Lukasiewicz, im beschränkten Maasse nachgeahmt. Dazu entwickelte sich in Amerika ein voll­kommenes und einfaches Transportsystem in eisernen Cisternenwagen auf den Bahnen und ausserdem in Rohrleitungen, die auf viele hundert Kilometer Distanz das Petroleum mit minimalen Kosten verschicken. In Galizien war dies erst ein Werk der letzten zehn Jahre.

8. Grössere natürliche Schwierigkeiten der galizischen Petroleumgebiete. In letzter Instanz müssen auch die grösseren natürlichen Schwierigkeiten in Galizien hervorgehoben werden, indem das galizische Petroleumterrain weder so reichhaltig ist wie das caucasische, noch so leicht zum Bohren ist wie das amerikanische, wo die nahezu horizontale Lagerung die Bohrarbeiten ausserordentlich erleich­tert, während die steil geneigten und unregelmässigen galizischen Oelschichten eine viel vollkommenere Bohrtechnik erfordern. Ohne die vorerst angegebenen behebbaren Nachtheile wäre dieser Umstand allein einer Entwicklung der galizischen Petroleum-Industrie nicht im Wege gestanden, wie er auch seither überwunden wurde, da doch Galizien, im Centrum Europas, in der Mitte eines kolossalen Consumgebietes gelegen, sonst viel mehr Vortheile darbot wie die geographisch für den Welthandel viel ungünstiger situirten amerikanischen und russischen Petroleumgebiete.

Wenn trotz der günstigen geographischen Lage die Petroleum-Industrie Galiziens eigentlich die günstigste Zeit für ihre Entwicklung versäumte und erst jetzt in der schlechtesten Conjunctur eine grössere Wichtigkeit erlangte, so beweist dies nur ihre unverwüstliche Lebensfähigkeit, und ist gleichzeitig das beredteste geistige Armuthszeugnis für alle jene Factoren, deren Aufgabe es gewesen wäre, diejenige Entwicklung, deren wir heute Zeuge sind, schon vor 3o Jahren herbeizuführen.

Einige wenige Zahlen geben ein drastisches Bild der Vortheile, welche Ländern und Nationen zufallen, die sich in der Avantgarde des Fortschrittes befinden, und die verhältnismässig mühelos jene Resultate einheimsen, welche die Länder und Nationen ohne Initiative, die nur den anderen nachzuhinken pflegen, für immer und unwiderruflich verlieren.

In der Zeit der hohen Preise vor dem Jahre 1878, der Zeit der fabelhaften Erfolge, war die galizische Production trotz eines Rohölpreises von 12 fl. per Metercentner und mehr, kaum je über 200.000 q pro Jahr. Die bis dahin nach Deutschland importirte Petroleummenge kann auf über 3o Millionen Metercentner im Werthe von über 600 Millionen Gulden ö. W. geschätzt werden, wozu der Import nach Oesterreich, etwa 7 Millionen Metercentner im Werthe von 150 Millionen Gulden ö. W., hinzukommt. Galizien war geographisch berufen, das Ganze oder einen grossen Theil dieser Quantitäten, deren Ge- sammtwerth sich auf 750 Millionen Gulden beziffert, zu liefern. W r elch anderes Bild würde das arme Land Galizien heute dargestellt haben, wenn sich vor 20 und 3o Jahren ein solcher Goldstrom von einigen hundert Millionen Gulden dort befruchtend und bereichernd ergossen hätte. Welchen Einfluss auf die österreichische Handelsbilanz hätte nicht ein mächtiger Petroleumexport gehabt, welchen belebenden Einfluss auf alle dabei mitbetheiligten Metall-, Maschinen- und chemischen Industrien? Es ist im höchsten Grade melancholisch, sich in solchen Betrachtungen zu ergehen, da das Versäumte absolut nicht nach­zuholen ist. Im Kampfe um die Existenz kam dem Schnelleren und Gewandteren der fette Braten zu, dem Nachhinkenden bleibt nichts übrig, als an den mageren Knochen weiter zu nagen.

Nach diesen einleitenden Bemerkungen wird die nachstehende Tafel verständlich, welche die ziffer- mässige Entwicklung der drei grossen Petroleumgebiete Pennsylvaniens, Russlands und Galiziens seit 1873 darstellt, des ersten Jahres, für welches wir in Galizien einigermaassen verlässliche Ziffern besitzen:

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