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Die Groß-Industrie Oesterreichs : Festgabe zum glorreichen fünfzigjährigen Regierungs-Jubiläum seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. dargebracht von den Industriellen Österreichs 1898 ; Fünfter Band
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Buche nachgelesen werden; sie ist gleichzeitig eine Geschichte der Entwickelung der Zucker-Industrie überhaupt und ein ehrendes Zeugnis für die Pionniere dieser Industrie. Von einer chemischen Controle oder Polarisation war keine Rede; erst zu Beginn der Fünfzigerjahre construirte Balling in Prag eine nach ihm benannte Spindel, welche so eingerichtet war, dass man aus der Tiefe des Einsinkens derselben in reine Zuckerlösungen den procentuellen Zuckergehalt der letzteren bestimmen konnte, weshalb dieser Apparat auch Saccharometer genannt wurde.

Im Jahre 1848 wurde Rübenzucker noch vollständig steuerfrei erzeugt; erst vom 1. Jänner 1850 wurde die Rübe mit 5 kr. C.-M. pro Wiener Centner besteuert, was, auf die damalige Zuckerausbeute berechnet, einer Besteuerung von beiläufig 1 fl. 20 kr. bis 1 fl. 30 kr. C.-M. pro Wiener Centner Zucker oder 2 fl. bis 2 fl. 20 kr. ö. W. pro Metercentner entspricht. Raffinaden für den Consum zahlten bei der Einfuhr 21 fl. pro W'iener Centner. Die Raffinerien genossen damals den Vorzug, Colonialzucker zur Raffination zum Zollsätze von 7 fl. C.-M. pro Wiener Centner zu beziehen, so dass für die Raffinerien eine Raffinationsprämie von 10 fl. bis 12 fl. C.-M. pro Wiener Centner oder 18 fl. bis 22 fl. pro Meter­centner resultirte. Diese kolossalen Prämien, welche die Raffinerien damals genossen, waren im Vereine mit der Geschäftsverbindung ihrer Besitzer mit den Rhedereien in Triest hauptsächlich die Ursache, dass von Seite der damaligen Zuckerraffinerien der Rübenzuckerfabrication feindlich entgegengetreten wurde, indem diese glaubten, dass wenn sie nicht auf die Raffinirung von Rübenrohzucker eingehen, sondern einzelne Fabriken zwingen, den Rübenrohzucker selbst in eine consumfähige Waare zu bringen und zu verschleissen, es möglich sein würde, die Rübenzucker-Industrie niederzuhalten oder auch ganz zu unter­drücken. Die emporstrebende Rübenzucker-Industrie musste die beiden ITaupthäfen für die Einfuhr von Colonialzucker, nämlich Triest und Hamburg, ihres Charakters als Importhäfen vollständig entkleiden und damit in den dortigen kaufmännischen Kreisen eine gänzliche Umwälzung hervorrufen, welche natur- gemäss nicht ohne Kampf vor sich gehen konnte, nur dass Hamburg sich unvergleichlich rascher entwickelte als Triest. Trotz all dieser Hindernisse gelang es unserer Rübenzucker-Industrie, sich unter dem Schutze der hohen Preise, welche 1848 noch 67 fl. pro Metercentner betrugen, und Dank der noch immer sehr geringen Besteuerung, so weit zu entwickeln, dass zu Beginn der Sechzigerjahre der Colonialzucker nahezu verdrängt war.

Hätten die damaligen Raffinerien die Raffination von Rübenrohzucker in die Hand genommen, so hätte sich unsere Zuckerfabrication fraglos auf ganz andere Weise entwickelt, und unsere Zucker-Industrie wäre auf ähnliche Bahnen wie in Frankreich gelenkt worden. Die einzelnen Fabriken hätten sich sehr gern darauf beschränkt, Rohzucker zu erzeugen, wenn die Raffinerien ihr Product zu halbwegs Nutzen gewährenden Preisen abgenommen hätten. Obwohl die grössere Kraft, das grössere Capital und auch die grössere Geschäftskenntnis auf Seite der Raffinerien waren, so sah sich doch eine Raffinerie nach der anderen gezwungen, die Raffination von Colonialzucker einzustellen und mit dem Bezüge von Rübenzucker zu Raffinationszwecken zu beginnen, bis schliesslich sämmtliche Raffinerien, mit Ausnahme der Prager Raffinerie von Baernreither, welche gegenüber den südländischen Raffinerien in kleinerem Maassstabe angelegt war, die Raffination von Colonialzucker aufgaben. Die Colonialzucker-Raffinerien konnten sich jedoch dauernd nicht mehr gegen die kräftig aufstrebende Rübenzucker-Industrie behaupten, und heute besteht keine derselben mehr.

Ein weiterer Factor, der die Entwickelung der Rübenzucker-Industrie auch ungemein förderte, war das damalige hohe Silberagio.

Als sich die Rübenzucker-Industrie langsam aus den Kinderschuhen entwickelt hatte, wurde sie auch sehr bald ein gern gesehenes und viel umworbenes Besteuerungsobject. Die Steuer stieg in raschen Sprüngen von 5 kr. auf 8, 12 und 18 kr. C.-M. pro Wiener Centner Rübe. Auch hat es sich schon damals leider heraus­gestellt, dass die Rübenzucker-Industrie von Seite der öffentlichen Meinung immer wieder Gegenstand der allgemeinen Aspiration und des Neides war; immer hiess es von den Zuckerfabrikanten, sie verdienen ja und können es bezahlen, und daraus resultirten auch die Schwierigkeiten, sich der immer grösser werdenden Ansprüche zu erwehren, die von Seite des Fiscus an die Zucker-Industrie gestellt wurden. Dass die Lage der Rübenzucker-Industrie jedoch in Folge der Ueberproduction schon damals eine sehr missliche gewesen sein muss, erhellt daraus, dass der im Jahre 1851 gegründete Centralverein für Rübenzucker-Industrie im Jahre 1856 Mittel und Wege suchen musste, um eine Einlagerung und Belehnung des Rübenzuckers zu vermitteln. Der Centralverein knüpfte diesbezüglich mit der Creditanstalt für Handel und Gewerbe Ver-