DIE LACK-INDUSTRIE IN OESTERREICH.

VON D R - P HIL - RUDOLF FLESSA,

FABRIKSDIRECTOR IN FLORIDSDORF.

er Consum von Firnissen und Lacken aller Art hat in den letzten 2 5 Jahren bei der Hebung K der wirthschaftlichen Thätigkeit, bei der Steigerung des Verkehrs, bei dem Anwachsen von Wohlstand und Luxus in einer wirklich grossartigen Weise zugenommen. Auch dem Laien ist es bekannt, dass Firnisse und Lacke nicht nur zur Zierde und Ausschmückung allein,

sondern auch zur Erhaltung der mannigfachsten Objecte in vielfältiger Weise zur Verwendung kommen.

Nun hat aber die Erzeugung im Inlande mit dem Consum nicht gleichen Schritt gehalten, sondern wir haben in diesem Artikel noch einen bedeutenden, sich stetig steigernden Import zu verzeichnen. Vor Allem waren es die englischen Fabriken, die sich des Weltmarktes zu bemächtigen wussten, dann kamen Frankreich, Belgien, Holland und Deutschland, und diese Staaten, vereint mit Amerika, theilen sich heute in den Import.

Nach den amtlichen statistischen Tabellen über den auswärtigen Handel wurden im Jahre 1897 an Lackfirnissen, für welche ein Zoll von 24 fl. in Gold pro Metercentner zu entrichten ist, 3983 Metercentner im Handelswerthe von 995.750 fl. (ohne Einrechnung der Zollgebühr) eingeführt, während noch im Jahre 1887 diese Ziffern 2092 Metercentner, beziehungsweise 523.000 fl. betrugen. Der Verkaufspreis dieser Firnisse variirt zwischen 180450 fl. pro Metercentner. An dieser Einfuhr participirt England mit dem Hauptantheile von 2042 Metercentnern. Von den einem Einfuhrzoll von 5 fl. in Gold pro Metercentner unterliegenden Lackfirnissen, welche in Fässern unter der Bezeichnung »Oelfirnisse« eingeführt wurden, sind im Jahre 1897 1796 Metercentner im Handelswerthe von 44.900 fl. (ebenfalls ohne Einrechnung der Zollgebühr) als importirt zu verzeichnen. Hier ist gegenüber 1887 mit 3154 Metercentnern und 126.160 fl. eine Abnahme der Einfuhr bemerkbar.

Vom technischen Standpunkte aus erklären sich die hohen Importziffern feiner Lacke, wobei die englischen ausschlaggebend sind, folgendermaassen: Als Besitzer der Colonien, in welchen die Copal- harze, als wesentlicher Bestandtheil der Lacke, gegraben werden, haben die Engländer sich zuerst ein­gehend mit der Verarbeitung dieses in grossen Mengen vorkommenden Naturproductes befasst, und ist es ihnen auch bald gelungen, ein brauchbares Fabrikat zu erzielen, mit welchem sie in kürzester Zeit den Weltmarkt versahen.

Aus Mangel einer gleichwerthigen inländischen Production hat sich der Consument genöthigt gesehen, ausländische Waare zu beziehen und zu verarbeiten. Er gewöhnte sich schliesslich so sehr an dieses Fabrikat, dass ein Product anderer Provenienz nicht einmal einer Berücksichtigung gewürdigt wurde.

Nur dadurch ist es auch erklärlich, dass die hohen Preise sich behaupten, trotzdem der inländische Fabrikant begreiflicherweise den Kampf gegen eine so bedeutende Concurrenz aufnehmen musste und bald aufzunehmen begann und namentlich durch Herabdrücken der Preise sich bei den Consumenten Eingang zu verschaffen suchte. Wie jedoch die periodischen Nachweise in den letzten Jahren ergeben, ist ihm dies trotz aller Anstrengungen nicht gelungen.

Im Allgemeinen aber haben die ausländischen Fabriken nichts voraus, d. h. es sind gar keine Umstände vorhanden, die selben irgendwelche Priorität vor der inländischen Industrie sichern würden, denn auch die Beschaffung der Rohwaare, ein Hauptfactor, kann unter analog günstigen Verhältnissen bewerk­stelligt werden. Der einzige Grund dieser merkwürdigen Thatsache, mit welcher uns oben die Einfuhrziffern vertraut machen, ist der, dass im Auslande und speciell in England das Grosscapital sich dieser Production angenommen und sie heute noch in Händen hat.

Bei uns ist diese Industrie noch lange nicht annähernd gewürdigt und wird den inländischen Fabrikanten seitens der Hauptconsumenten viel zu wenig Vertrauen entgegengebracht.

Es wäre Ehrensache, Erzeugnisse, die hier unter ganz gleichen Umständen wie im Auslande her­gestellt werden können, der fremden Provenienz zu entziehen. Oesterreich-Ungarn sollte Artikel, für deren Einfuhr nicht die geringste Rechtfertigung vorhanden ist, auch nicht importiren lassen.

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