Mehr oder weniger als Arzneispecialitäten sind auch die Quellenproducte zu behandeln, welche von den Directionen der in Oesterreich so zahlreichen Curorte in den Verkehr gebracht werden.

Wohl der erste Artikel, der in Apotheken fabriksmässig erzeugt wurde, war das Sodawasser. Das­selbe war in den Fünfzigerjahren von Struwe in Deutschland in den Verkehr gebracht worden, und da es dort grossen Beifall fand, so entstanden bald auch in Oesterreich Fabriken zur Erzeugung dieses wohl­schmeckenden und erfrischenden Getränkes. Die erste österreichische Sodawasserfabrik war die des Besitzers der Apotheke in der Praterstrasse »zum guten Hirten« in Wien, des nachmaligen langjährigen Oberdirectors des Allgemeinen österreichischen Apothekervereines Rudolf Schiffner, welche heute noch in der Ferdinandsstrasse, allerdings ganz getrennt von der Apotheke und in anderem Besitze, besteht. In den nördlichen Theilen Oesterreichs war es der Gerichtschemiker und Apotheker Adolf Haneke in Troppau, welcher zuerst Sodawasser erzeugte, und auch diese Fabrik besteht noch (im Besitze des Apothekers Gustav Hell), sowie überhaupt noch heute sehr viele Apotheker Sodawasser erzeugen. Im allgemeinen hat sich aber diese Industrie, welche früher fast ausschliesslich' in den Apotheken betrieben wurde, immer mehr auf eigene Füsse gestellt, und steht heute nur mehr der kleinere Theil dieser Fabriken mit Apotheken direct in Verbindung, während die überwiegende Mehrzahl der Sodawasserfabriken von der Pharmacie vollkommen losgelöst ist.

Einen ganz besonderen Ansporn erhielt die pharmaceutische Gross-Industrie durch das Bestreben, die Arzneimittel dem Patienten in angenehmer Form zu verabreichen. In dieser Beziehung hat sich zuerst die Erzeugung von Gelatinekapseln, in denen unangenehm schmeckende Arzneien vollkommen verschlossen verabreicht und verschluckt werden, in Oesterreich eingebürgert. Bald nach dem Regierungsantritte Seiner Majestät entstand in Wien die erste Gelatinekapselfabrik von M. Winkler, welche im Laufe der Jahre in den Besitz des Apothekers Dr. Franz Stohr, II., Kleine Schiffamtsgasse in Wien, übergegangen ist. Diese Arzneiform, welche zuerst in Frankreich eingeführt wurde, fand auch bei uns solchen Beifall, dass die Zahl der Arzneimittel, welche in dieser festen und dabei doch elastischen, im Magen leicht löslichen Hülle verschluckt wurden, immer mehr wuchs und heute eine ganze Anzahl von Fabriken mit der Er­zeugung und Füllung solcher elastischer Gelatinekapseln und -Perlen beschäftigt ist. Ein besonderer Fort­schritt in dieser Industrie war es, als es gelang, die Perlen so zu füllen, dass keine Luftblasen in den­selben zurückblieben und in Folge dessen das Medicament (zumeist fette und ätherische Oele, Extracte etc.) lange Zeit (selbst Jahre lang) vollkommen unzersetzt aufbewahrt werden kann. Die Gelatine wurde aber auch noch in anderer Weise der Pharmacie dienstbar gemacht. Der Wiener Apotheker Grohs v. Fligöly erzeugte im Einvernehmen mit hervorragenden Wiener Klinikern, insbesondere den Professoren Rokitansky, Braun, Billroth, Späth etc., zuerst Gelatinepräparate mit medicamentösen Zusätzen zur Einführung in Körper­höhlen (Suppositorien, Globuli, Bougies etc.), deren Anwendung sich bald über die ganze Welt verbreitete.

Diese Präparate wurden jedoch weniger zu einem Producte der Gross-Industrie, weil sie immer frisch verwendet werden.

Ein anderer Fortschritt in Bezug auf die Verbesserung der Form sind die Medicinaloblaten, welche zuerst von Apotheker Limousin in Paris in noch ziemlich unvollkommener Form verwendet wurden. Der Tiroler Apotheker Fässer construirte hierauf einen sehr sinnreichen und eleganten Apparat zum Verschluss der Oblaten und erzeugte gleichzeitig eine Sorte von Oblatenkapseln, die sich bei geringer Dicke und grosser Elasticität, sowie leichter Löslichkeit, doch durch genügende Undurchdringlichkeit auszeichnete. Die Fasser- schen Medicinaloblaten eroberten sich bald nicht nur den österreichischen Markt, sondern auch den aus­ländischen; sie wurden insbesondere ein bedeutender Exportartikel nach Russland. Inzwischen haben auch verschiedene andere Erzeuger die Fabrication von Medicinaloblaten und Verschlussapparaten nach anderen Systemen aufgenommen, aber immer noch ist die Fassersche Fabrik, welche im Jahre 1885 in den Besitz der Firma G. Hell & Comp, übergieng, die leistungsfähigste und bedeutendste auf diesem Gebiete.

Auch das Comprimiren von Arzneipulvern mittelst sogenannter Comprimirmaschinen, das Ueber- ziehen von Pillen mit Zucker (Dragös), Chocolade etc. gaben Anlass zur Entstehung von pharmaceutischen Grossbetrieben, und neuestens kamen hiezu noch Kefirpräparate, Anthrophore etc.

In letzterer Zeit sind ausser der zahllosen Menge neuer synthetisch dargestellter chemischer Prä­parate, welche in den Arzneischatz eingeführt wurden (aber grösstentheils im Auslande erzeugt sind), auch noch zwei andere Arten von Heilmitteln in die Therapie eingeführt worden, welche animalischen Ursprungs sind, nämlich die Serum- und Organpräparate, welche beide auch nur im grossen erzeugt werden können.

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