Dokument 
Die Groß-Industrie Oesterreichs : Festgabe zum glorreichen fünfzigjährigen Regierungs-Jubiläum seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. dargebracht von den Industriellen Österreichs 1898 ; Fünfter Band
Entstehung
Seite
451
Einzelbild herunterladen

Wir unterscheiden demnach im pharmaceutischen Grossbetriebe: i. Chemische Präparate, 2. gale- nische Präparate, 3. Arzneispecialitäten, 4. Arzneiumhüllungsmittel, 5. Serumpräparate, 6. Organpräparate, 7. Verbandstoffe, 8. Quellenproducte, 9. pharmaceutische Bedarfsartikel, 10. Sodawasser.

Wir wollen diese Kategorien nunmehr etwas eingehender besprechen, soweit dies nicht schon oben geschehen ist.

1. Chemische Präparate, die zu Arzneizwecken Verwendung finden, werden zum Theile auch im Inlande erzeugt, zum überwiegend grösseren Theile aber aus dem Auslande bezogen. Die im Inlande erzeugten Artikel sind zumeist solche, welche in erster Linie technische Verwendung finden, deren Her­stellung daher chemische Fabriken übernommen haben, die nicht als speciell chemisch-pharmaceutisch gelten können. In diese Kategorie gehören z. B. Soda, Schwefelsäure, Salzsäure, Salpetersäure, chlorsaures Kali, Spiritus, Aether, Chloroform, Glycerin, Carbolsäure, Weinsäure etc. Manche dieser Specialfabriken, wie die Sargsche Glycerinfabrik in Liesing, die Weinsäurefabrik von Wagenmann, Seybel & Comp, in Liesing, die Rütgerssche Theerproducten- (Carbolsäure-) Fabrik in Angern etc., haben einen Weltruf erlangt.

In den letzten Jahrzehnten sind übrigens auch in Oesterreich Fabriken gegründet worden, welche ausschliesslich nur pharmaceutisch-chemische Producte erzeugen. Den ersten Rang unter denselben nimmt die Fabriksfirma G. Hell & Comp, in Troppau ein, welche aus einem Apothekenlaboratorium ent­standen ist und erst im Jahre 1883 zu einer Gesellschaftsfirma, beziehungsweise in ein grosses Fabriks­unternehmen umgewandelt wurde. Diese Firma erzeugt nebst ihren Hauptartikeln (galenischen Präparaten) auch eine Anzahl chemischer Präparate, die ausschliesslich medicinische Verwendung finden, wie Bismu- thum subgallicum, Chininum tannicum, die verschiedensten Eisen- und Eisenmanganpräparate, Hämal­bumin, Hydrargyrum tannicum oxydulatum, Jodoformium bituminatum, Petrosulfol, welch letzteres Prä­parat dem Ichthyol ganz analog ist und ebenso wie dieses aus einem auf der Insel Brazza und bei Seefeld in Tirol vorkommenden bituminösen Gestein durch trockene Destillation als theerartiges Product erhalten wird, das 10% Schwefel chemisch gebunden enthält, worauf seine grosse Wirksamkeit beruht. Ausserdem hat die genannte Firma zuerst die Vaselinfabrication in Oesterreich eingeführt. Früher erzeugte sie nur künstliches Vaselin, welches dem Unguentum Paraffini des deutschen Arzneibuches ent­sprechend durch Zusammenschmelzen von Paraffin und Vaselinöl herrgestellt war. Bald aber gelang es ihr, auch ein Naturvaselin aus galizischen Petroleumrückständen herzustellen, welches dem amerikanischen Vaselin vollkommen ebenbürtig ist und mit demselben die grosse Viscosität gemeinsam hat. Dieses Natur­vaselin steht seit mehr als zehn Jahren in ausgebreiteter Verwendung. Später sind auch andere Vaselin­fabriken entstanden. In letzter Zeit wurde unter anderen eine in Wien errichtet, welche die Reinigung und Entfärbung des Vaselins nur auf mechanischem Wege, durch Filtration und Hindurchleiten von Wasser dampf, vornimmt.

In neuerer Zeit ist ferner in Wien ein Etablissement zur Erzeugung pharmaceutisch-chemischer Prä­parate eröffnet worden, welches die Firma Dr. Lilienfeld & Comp, führt. Diese chemischen Werke er­zeugen vor allem einen alkohollöslichen Eiweisskörper, den sie Globon nennen und als Nährmittel in Verkehr bringen, sowie eine Silbereiweissverbindung, Largin genannt, die in Folge ihrer baktericiden Eigenschaften als Wundheilmittel und Antigonorrhoicum Verwendung findet. Ausserdem hat die ge­nannte Firma kürzlich ein Patent zur synthetischen Darstellung von Eiweisskörpern genommen, nachdem es Herrn Dr. Lilienfeld gelungen war, einen peptonartigen Körper aus Glycocol und Phenol mittelst Phosphoroxychlorid synthetisch darzustellen, worüber er in der II. Section, Subsection C. des III. Internationalen Congresses für angewandte Chemie in Wien am 2. August 1898, sowie in der »Oesterreichischen Chemiker-Zeitung« 1899, Nr. 3, ausführlich berichtet hat. Ein wichtiges Präparat, das in Wien von der Firma Schülke & Mayers Nachf. Dr. Raupenstrauch fabriksmässig herrgestellt wird, ist das Lysol, ein seifenhältiges Ivresolpräparat, das derzeit als das beste Desinfectionsmittel gilt.

2. Galenische Präparate wurden in Oesterreich zuerst von der bereits mehrgenannten F'abriks- firma G. Hell & Comp, im grossen Maasstabe hergestellt. Zwar hat es auch schon früher einzelne Apothekenlaboratorien gegeben, welche Pflanzenextracte und dergleichen in grösserer Menge erzeugten und an andere Apotheken abgaben, wie z. B. die Apotheken von Dr. Lamatsch und C. Haubner in Wien; von einem Fabriksbetriebe konnte bei denselben aber nicht die Rede sein. Erst der Firma G. Hell & Comp, gelang es, durch strengste Reellität, tadellose Präparate und billige Preise ein grosses Absatzgebiet für

57*

451