K. A. LINGNER
CHEMISCHE FABRIK
BODENBACH.
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an sollte es kaum für möglich halten, dass von einem Artikel, der für die allgemeinen Bedürfnisse verhältnismässig nebensächlich erscheint, jährlich für viele Millionen hergestellt und verbraucht wird, wie dies bei dem Mundwasser zutrifft. Es ist ein charakteristisches Zeichen der Entwickelung unserer Cultur, wenn auch ein recht wenig erfreuliches, dass, je weiter wir in derselben fortschreiten, in demselben Maasse die natürliche Solidität unseres menschlichen Organismus nachlässt und wir gezwungen sind, durch allerlei künstliche Pflegemittel die einzelnen Theile unseres Körpers gegen allzu vorzeitige Abnützung und vor Zerfall zu bewahren, um sie für die Dauer unseres Lebens in einigermaassen brauchbarem Zustande künstlich zu erhalten.
Merkwürdigerweise sind es gerade die Zähne, die die Vorsehung doch aus einem ganz besonders soliden Material geschaffen hat, welche der durch die CulturentWickelung bedingten raffinirten Lebensweise am leichtesten zum Opfer fallen. Die Zunahme der Zahnverderbnis in dem letzten Jahrhundert ist, wie allbekannt, eine geradezu erschreckende, wie dies auch aus einer Statistik des letzten internationalen Congresses in Moskau hervorgeht. Deutsche und englische Zahnärzte haben sich der Mühe unterzogen, 35.000 Schulkinder mit etwa 800.000 Zähnen auf den Zustand ihres Gebisses zu untersuchen. Der Procentsatz der Zahnerkrankungen betrug im Minimum 76%, im Maximum 99 ’ 2 °/ 0 .
Dass von Erwachsenen heute nur ein ganz verschwindender Procentsatz ein vollständig gesundes Gebiss hat, ist wiederholt nachgewiesen; die Ursache dieses höchst betrübenden Zustandes liegt vornehmlich in der verschlechterten Lebensweise (der Culturmensch nennt sie verfeinert). Während der von der Civilisation unberührte Mensch sein ganzes Leben lang seine Kauwerkzeuge an der harten Nahrung, wie die Natur sie bietet, erprobt und kräftigt, wird dem Culturmenschen die Arbeit der Zerkleinerung der Speisen durch eine bis zum Raffinement vorgeschrittene .Kochkunst erleichtert, zum Schaden für die Zähne, die bei den geringen Arbeitsleistungen, die ihnen zugemuthet werden, und dem dadurch bedingten geringen Stoffwechsel niemals die Festigkeit der Structur erlangen können, wie sie bei den Zähnen der Naturmenschen zu beobachten ist. Aus demselben Grunde werden die Kiefer der jetzt lebenden Generation, weil sie nicht mehr dieselbe Arbeit zu verrichten haben, wie in früherer Zeit, immer kleiner und schmäler, so dass sie für die normale Zahl der Zähne keinen Platz mehr bieten. Daher die vielen Unregelmässigkeiten der Zahnstellung. Auch die Zahl und Grösse der Zähne ist in allmählicher Abnahme begriffen, und der hochentwickelte Zukunftsmensch wird zweifellos weder seitliche obere Schneidezähne, noch Weisheitszähne besitzen. Während wir also heute mit unseren 32 Zähnen schon erheblich zurückstehen hinter den 44 unserer ’thierischen Ahnen, wird der Zukunftsmensch sich mit 26 Zähnen begnügen müssen. Wie man sieht, eröffnen sich unserem Geschlecht recht trübe Aussichten; denn wenn das so weiter geht, werden unsere Nachkommen in ganz ferner Zukunft womöglich überhaupt keine Zähne mehr haben.
Die zunehmende Zahnverderbnis hat die Menschen nun auf die Idee gebracht, künstliche Abwehrmittel zu finden, um diesem Uebel Einhalt zu thun. Diese Bestrebungen nahmen vor etwa hundert Jahren, als französische Parfümeure Mundwässer zur Pflege der Mundhöhle herstellten, ihren Anfang. Da man jedoch damals die directen Ursachen des Zahnverfalles überhaupt noch nicht kannte, so kann man sich leicht denken, dass auch die Mundwässer der damaligen Zeit gegen den Zahnverfall nichts ausrichten konnten; man verliess sich auf die con- servirende Wirkung des Alkohols, den man mit einigen ätherischen Oelen parfümirte. Immerhin gebührt den Franzosen das Verdienst, wenigstens die Anregung zu der Herstellung von Mundwässern gegeben zu haben. Auffälligerweise haben sich jedoch die damals hergestellten Zahnwässer trotz ihrer längst nachgewiesen ungenügenden Wirkung bis heute auf dem Markte gehalten. Ja noch mehr: bis vor ganz kurzer Zeit wurde mit diesen Wässern fast ausschliesslich der ganze Weltmarkt versorgt.
Die grossen Fortschritte auf dem Gebiete der Bacteriologie zeigten nun zweifellos, dass die wirkliche Ursache der Zahnverderbnis Mikroben und deren Fermente sind, nämlich Fäulnis- und Gährungsproducte. Man erkannte, dass ein Zahnconservirungsmittel nur dann seinen Zweck erfüllen könne, wenn es diese Processe im Munde verhütet und aufhebt. Thatsächlich kamen auch nach Bekanntwerden dieser wissenschaftlichen Erkenntnis zahlreiche antiseptische (fäulniswidrige) Mittel auf den Markt, welche den zahnzerstörenden Processen entgegenwirken sollten. Eine willige Aufnahme fanden diese Präparate trotzdem nicht, weil dieselben meistens, indem sie diese Processe unschädlich machten, gleichzeitig auch nachtheilig auf die Zähne wirkten; namentlich waren es die Salycilsäure-Präparate, die diese schädliche Wirkung ausübten und die in Folge dessen vonseiten der Regierung verboten werden mussten. In Folge dieser fatalen Begleitwirkungen vieler Antiseptica hatte man in zahnärztlichen Kreisen schon die Hoffnung auf-
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