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Geschichte des Suezkanals.
in der „Österreichischen Zeitung“ die verschiedenen Bedenken; er widersprach auch der Behauptung, daß Lesseps dem großen Unternehmen ein ausschließlich französisches Gepräge geben wolle und alle leitenden Stellen mit seinen Landsleuten besetzt habe; er verwies darauf, daß bisher nur eine Stelle vergeben und diese — die Stelle des Vorstandes der technischen Oberleitung des Baues — einem österreichischen Ingenieur übertragen worden sei. Wie sehr es Negrelli immer nur um die Sache selbst zu tun war, erhellt aus dem Schlußsätze der Entgegnung: „Wer Englands wahrer und vorurteilsloser und kein augendienlicher Freund ist, der wird mit allen seinen Kräften die Unternehmung der Durchstechung der Landenge von Suez fördern.“ 82 )
Lesseps’ Bemühungen in Konstantinopel waren ohne Erfolg. Der dem Kanalbau wohlgesinnte Großvesir Raschid Pascha war unmittel- bar vor Jahresschluß gestorben; sein Nachfolger Ali Pascha, eine vorsichtige, erwägende Natur, schaute zuwartend nach England, wo sich innerpolitische Wandlungen vollzogen. Palmerstone war am 20. Februar 1858 gestürzt worden; ihm folgte Graf Edward Derby, der Lord Disraeli als Schatzkanzler berief; in dem Kabinette saß als Minister des Äußeren Lord Malmesbury, der sich früher für den Suezr kanal günstig ausgesprochen hatte. Aber dennoch erfuhr die Kanalpolitik Englands keine Änderung. Der Schatzkanzler sprach es unverhohlen aus, daß er an der Wirtschaftlichkeit des Kanals ebenso zweifle, wie an seiner technischen Ausführbarkeit und berief sich in letzterer Beziehung auf Robert Stephenson. Lord Derby schwieg; alle Anfragen im Parlament ließ er unbeantwortet. Lesseps begann nun mit dem Säbel zu rasseln. Er ließ durch die ihm ergebene Presse erklären, daß er gewillt wäre, den Bau des Kanals ohne Genehmigung seitens der Pforte in Angriff zu nehmen, wenn Lord Derby sich nicht bald oder nicht günstig äußere. Er behauptete, daß die Gesellschaft die Zustimmung Ägyptens besitze und die Hohe Pforte nicht die Absicht hege, gegen den Bau Einspruch zu erheben; wenn die Gesellschaft später der Unterstützung der Regierung bedürfe, werde es ihr daran nicht fehlen. Die Hartnäckigkeit Englands dränge zu einem solchen rücksichtslosen Schritte.
Diesen Gedanken teilte Lesseps auch Negrelli mit; aber da er die Anschauung seiner österreichischen Beschützer kannte, so dämpfte er doch ein wenig sein Säbelrasseln. Er betonte, daß er die weisen Ratschläge Metternichs: die Oberhoheit des Sultans zu achten, immer