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Geschichte des Suezkanals.
seinen „Erinnerungen“ veröffentlicht und von denen einige im Nachlasse Negrellis sich vorfinden, ergibt sich mittelbar, daß ihm von Wien und von Paris aus mit großer Entschiedenheit zur Mäßigung geraten wurde. Darauf mag es wohl zurückzuführen sein, daß er sich vorläufig mit der Tatsache begnügte, seinen Willen zur entschlossenen Tat bekannt gegeben zu haben, und die Reise nach Ägypten unterließ. Dagegen reiste er nach London, um den Verhandlungen über den Suezkanal beizuwohnen, die im Juni 1858 durch den Antrag des Abgeordneten Roebucks: England möge seinen Einfluß auf den Sultan zu Ungunsten des Suezkanals nicht länger geltend machen, eingeleitet wurden. Stephenson und Palmerstone sprachen gegen den Antrag; Ersterer brachte technische, Letzterer politische und wirtschaftliche Gründe vor. Palmerstone bezeichnete den Entwurf als die größte Seifenblase, mit der man bisher die Leichtgläubigkeit des englischen Volkes zu narren versucht habe und nannte Lesseps einen ausländischen Plänemacher, der seine eigenen persönlichen Zwecke verfolge. Gladstone sprach für den Antrag Roebucks, der aber doch mit 290 gegen 62 Stimmen verworfen wurde, nachdem der Schatzkanzler erklärt hatte, daß die politischen Gefahren des geplanten Kanals nicht abgestritten werden können. Wenn auch nicht überraschend, so doch zum mindesten sehr sonderbar waren die Äußerungen Stephensons im Parlamente. Der ursprüngliche Gedanke eines Wasserweges durch die Landenge von Suez beruhte — wie Stephenson auseinandersetzte — auf der irrtümlichen Voraussetzung, daß zwischen dem roten und dem mittelländischen Meere ein Höhenunterschied von rund 30 engl. Fuß bestehe und es also möglich sein werde, dort einen Bosporus herzustellen, wie ihn die Natur zwischen dem Schwarzen und dem mittelländischen Meere geschaffen habe. Die Erhebungen französischer und österreichischer Ingenieure, wie auch seine eigenen Studien haben gezeigt, daß der Höhenunterschied nur ganz gering sei und keine Strömung herbeiführen könne; wenn aber diese fehle, so kann es sich nicht mehr um einen Kanal, sondern nur um eine Gosse handeln, in die sich der mit teurem Gelde erbaute Kanal verwandeln müsse, wenn man ihn nicht ständig mit Wasser fülle.“
Negrelli veröffentlichte am 16. Juni 1858 in der „österr. Zeitung“ eine Erwiderung, die mit ihrem feinen Spotte und in ihrer sachlichen Schärfe eine glänzende Abfuhr des berühmten englischen Ingenieurs bedeutet. Das eigenartige Verhalten Stephensons als Mitglied der