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Der Suezkanal : seine Geschichte und seine wirtschaftspolitische Bedeutung für Europa, Indien und Ägypten / von Alfred Birk und Karl Hermann Müller
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V. Bau und Betrieb des Kanals.

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und Ingenieur Sciame als Chefingenieur geleitet. Die veranschlagte Baukostensumme von 200 Millionen Franken war im Jahre 1869 schon um 440 Millionen überschritten.

3. Ein politisches Zwischenspiel. Die größte Zahl der Schiffe, die in den folgenden Jahren den Suezkanal durchfuhren, trug die englische Flagge. In der öffentlichen Stimmung Englands vollzog sich ein Umschwung zu Gunsten des Kanals. Die englische Presse beurteilte ihn nicht mehr als Schwindelunternehmen; sie bereitete Lesseps, so oft er nach London kam, ehrende Empfänge. Der englische Premierminister Disraeli später Earl of Beaconsfield hatte rasch die große Be­deutung des vollendeten Wasserweges für Englands Weltverkehr und Weltpolitik erkannt und stellte sich auf das neue Ziel:Herrschaft über den Kanal ein. Heimlich ließ er jede erreichbare Suezkanal­aktie ankaufen; aber den Hauptschlag führte er im Jahre 1875, Ismael Pascha war in arge Geldverlegenheit geraten. Eine Rettung sah er nur in dem Verkaufe des großen Stockes von Suezkanalaktien, den Lesseps seinem Vorgänger aufgehalst hatte. Er bot die Aktien durch den Chef eines großen Bankhauses der französischen Regierung an, die aber den Ankauf ablehnte. Nun ging Ismael Pascha hinter dem Rücken Lesseps an die englische Regierung. Lord Beaconsfield prüfte nicht lange die rechtliche Seite der Frage; ohne das Parlament anzuhören, erwarb er in der kurzen Zeit von 14 Tagen die 177 692 Aktien um 100 Millionen Franken, obwohl ihre Zinsen bereits auf 25 Jahre verpfändet waren und erntete für diesen Schritt den Beifall seiner Landsleute. Mehr als die Hälfte der Aktien befand sich nun in den Händen der englischen Regierung. Sie verlangte sofort sieben Sitze im Aufsichtsrate der Kanalgesellschaft; später erhielt England zehn Sitze. Der englische Einfluß stieg von Tag zu Tag und bald war der Suezkanal ein englisches Unternehmen, das er bis auf den heutigen Tag geblieben ist. Die zumeist englischen Aktionäre des Kanals erzielten aus demSchwindelunternehmen, bei dem kein Pfennig herauszuholen sei, im Jahre 1898, das eines der gewinnreichsten war, einen Reingewinn von 85 294 769 Franken. Lesseps hatte vergebens gegen die finanzielle und politische Um­klammerung des Kanals durch England angekämpft; er konnte den französischen Charakter, den er dem Werke aufgepreßt hatte, ihm nicht bewahren. England war dieses Mal mächtiger als Lesseps.