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Die wirtschaftspolitische Bedeutung des Suezkanals.
Oswald Spengler’s überaus lehrreiches Werk vom Untergang des Abendlandes hat die europäische Diplomatie bisher lediglich als Gedächtnis belastenden Stoff empfunden; sie ist weit entfernt davon, es als verstandesschärfend in Gebrauch zu nehmen. Wenn Europa tausendmal die Wege gezeigt werden, auf denen es ins Verderben rennen würde, und wenn ihm ebensoviele Wegweiser errichtet wür- denfür die Straßen, auf denen ihm ein Entrinnen möglich ist, so glaube ich doch, daß die leitenden politischen Kreise Europas in sich schon überlieferungsgemäß das Bedürfnis fühlen, Oswald Spengler zum Propheten zu machen. Das weißGroßbritannien auch ganz genau, und wie fest dieser europäische Kopf mit dem transatlantischen Körper von dieser Tatsache überzeugt ist, beweist so recht deutlich, daß Lord Lansdownes im englischen Unterhause folgenden Ausspruch tun konnte: „Es wäre das Schlimmste für die Entente, wenn Deutschland und Rußland sich verbinden würden.“ Dieser englische Lord ist also davon überzeugt, daß er solche Worte gemächlich aussprechen und in die Welt hinausrufen darf, ohne damit rechnen zu müssen, daß auch nur irgend jemand auf den Gedanken kommen könnte, das auszuführen, was in diesen Worten liegt.
Daß England selbst eine so klare Sprache führen darf, ohne fürchten zu müssen auf Überlegung zu stossen, mag im Wesentlichen seinen Grund darin haben, daß in den Unterrichtsanstalten die Geschichte auch nur als gedächtnisbelastender Stoff behandelt und verstandes- schärfende Geschichte nicht betrieben wird. Erst der Delegierte von Haiti wies auf der „Völkerbundtagung“ die zivilisierte Welt mit dem Zaunpfahl auf die Kluft, die sie von der Kultur noch trennt. Er brachte zu ihrer Überbrückung den Antrag ein, ein neues Geschichtsbuch für die ganze Erde zu schaffen, durch das das chauvinistische Bicepsmuskel-Heldentum als gänzlich unproduktiv, als lediglich verzehrend gebrandmarkt und die schöpferischen Geister und der Hände schaffende Arbeit als einzige Quelle der Kultur gewürdigt werden sollen. Die Männer des Aufbaues will der Delegierte von Haiti gegen die Männer des Abbruchs ins richtige Licht gesetzt wissen. —
Ob dieses Vorhaben in Europa wohl Anklang finden wird?!
In Europa, wo man große Scharen gebildeter Menschen erzieht und Gestaltende beseitigt; wo man Kopisten erzieht und über die Vergangenheit Gegenwart und Zukunft vergißt.
Der Segen wäre unermeßlich, wenn die Kultur endlich einmal in den Sattel gehoben würde, damit sie der Zivilisation den Rang ablaufen