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Aegypten : Reisehandbuch für Aegypten / von Moritz Busch
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Kairo. 91

Altersklassen vertreten waren, ihren Gipfel erreicht hatte. Während wir das Kloster besuchten, befanden sich in demselben 14 Derwische, doch nahmen an den Tänzen und Gesängen auch zahlreiche Mitglieder der Brüderschaft, die als Privatleute für sich wohnen, Soldaten, Ar­beiter u. s. w. Theil. Dieser eigentümliche Gottesdienst der Derwische findet jeden Freitag gegen 1 Uhr Nachmittags statt, und um ihm bei­zuwohnen, bedarf es für den Europäer nichts, als dass er sich nach dem Kloster begibt. Die Bewohner des letzteren sind zuvorkommend gegen den Fremden und bewirthen ihn in der Begel sogar mit Kaffee.

Um die Stätte von Heliopolis zu besuchen, reitet man nach dem Dorfe Matarieh, welches circa eine deutsche Meile von Kairo ent­fernt liegt. Auf dem Wege passirt man das einst reichgeschmückte, jetzt in Trümmern liegende Grab des bekannten Melek Adel und wei­terhin noch einige Kuppelgrabmäler, die innen anmuthige Ornamente zeigen. Die Gegend ist gut angebaut und zum Theil mit Bäumen be­pflanzt. Heliopolis, das On der Bibel, lag ein Stück von dem ebenge­nannten Dorfe, und der Beisende erkennt seine Stätte leicht an dem Obelisken, welcher nebst einigen Schutthügeln der einzige Best der verschwundenen Stadt ist. Letztere war vorzugsweise von Priestern bewohnt und der Sitz ägyptischer Weisheit und Wissenschaft. Josephs Gemahlin war die Tochter eines hiesigen Priesters. Herodot, Plato und Dionysius Areopagita lagen hier ihren Studien ob. Ausserdem war die Stadt durch ihren grossen Sonnentempel berühmt, wo alle fünf­hundert Jahre der Vogel Phönix aus Arabien erschien, um sich hier in einem Weihrauchscheiterhaufen zu verbrennen und aus der Asche verjüngt wieder aufzustehen - ein Heiligthum, von dem zu Pocoke's Zeit in einigen verstümmelten Sphinxen von gelbem Marmor noch Spuren zu sehen waren. Die Sphinxe bildeten einen Dromos, der zu zwei Obelisken führte, von denen indess nur einer noch übrig ist. Der­selbe steht in einem Garten und erhebt sich, mit Einrechnung des in der Erde verborgenen Fussgestells 68 Fuss über den Boden. Er be­steht aus Granit, ist mit Hieroglyphen aus der Zeit Sesurtesens bedeckt, welche jetzt von Wespen ganz mit ihren grauen Zellen überbaut sind, und gilt für den ältesten in Aegypten. Seine Spitze soll einst mit Bronzeplatten belegt gewesen sein. Die Inschrift lautet: »Der Sohn der Sonne, Sesurtesen, der Horos, welcher den Menschen das Leben gibt, der König Sonne, welcher der Welt geschenkt ist, der Herr des obern und des untern Aegyptens, der geliebt wird von den Geistern der reinen Gegend, der immer lebt und den Menschen das Leben gibt, der das Leben der Menschen ist, dem Gotte (Phra), welcher ihn zum Le­bensgeber machte.

In Matarieh wuchs einst die Balsamstaude, aus der jener be­rühmte Balsam gewonnen wurde, mit dem die Königin von Sabah Salo- mon beschenkte und den Kleopatra in Aegypten einführte. Auch wird in der Nähe dieQuelle der Sonne gezeigt, deren bitteres Wasser durch die mit dem Jesuskinde nach Aegypten geflohene Maria in süsses vor-