98 Die Pyramiden.
Westwärts endlich schweift der Blick über eine bald rothhraune, bald gelbe, bäum- und grasleere Einöde von Wüstenhiigeln.
Yon Weitem gesehen, erscheinen die Pyramiden so ungeheuer wie sie wirklich sind. Näher kommend und etwa noch eine Viertelstunde von ihnen entfernt, glaubt man sich in ihrer Grösse getäuscht zu haben. Hart vor und auf ihnen wird man wieder inne, welche Riesenwerke sie sind. Auf dom Gipfel der grossen Pyramide stehen wir so hoch, dass der Thurm des Strassburger Münsters, wenn er darin stände, nicht mit seiner äussersten Spitze hervorragen könnte. Die gewaltige Peterskirche, die mit ihrer Laterne die Thurmspitzenhöhe von Strassburg fasst erreicht, hätte im massiven Kerne der Pyramide vollkommen Raum. Den Gesammtiulialt ihrer Masse schlägt man auf neunzig Millionen Kubikfuss an, sie hat eine Grundlinie von 746 Fuss, oder nimmt mit andern Worten einen Raum von mehr als 21 preussischen Morgen ein, und ist jetzt ohne den Sockel 421 '/ 2 Fuss hoch, während ihre ursprüngliche Höhe sammt dem, den Felsen an- gehörigen Sockel und der jetzt weggefallenen Spitze gegen 480 Fuss betragen haben muss. Um sich ihre Grösse recht zum Bewusstsein zu bringen, versuche man von oben einen Stein nach ihrem Fuss zu werfen. Man wird staunend finden, dass keine Menschenkraft so weit reicht, und dass der Stein bereits auf dem dritten oder vierten Theil ihrer Stufen niederfällt.
Der regelmässig behauene Felssockel der Pyramide erhebt sich 100 Fuss über den höchsten Wasserstand des Nil. Auf ihm befindet sich die erste senkrecht gestellte Steinlage und auf dieser dann der pyramidale Bau selbst mit seinen Quadern und Stufen. Nach der Erzählung der alten Schriftsteller war die in Stufenabsätzen über einander geschichtete Pyramide von Aussen mit geglätteten, genau aneinander gepassten Steinplatten belegt, welche sammt den längs der vier Kanten zur Ausfüllung der Räume an jedem Absatz angebrachten Steinpnsmen ihren Seitenflächen den Charakter glatter Felswände gaben. Gegenwärtig sind diese Aussenflächen aber herunter gestürzt und jede Seite bietet das Bild einer nach Oben zu schmäler werdenden Treppe.
Das Material dieser, sowie der meisten andern liier befindlichen Pyramiden rührt zum Theil und zwar vorzüglich im Innern von dem liier häufig angetroffenen Nummuliten-Kalkstein, zum Theil aus den auf dem rechten Nilufer liegenden arabischen Gebirgen her, von wo es auf Flössen über den Fluss und dann auf einem ungeheuren Damm aus geglätteten Steinen an Ort und Stelle geschafft wurde.
Das Herabsteigen ist leichter, als das Hinaufklimmen, namentlich für Schwindelfreie, welche überhaupt allein hinaufgehen sollten. Man wird dann von den arabischen Begleitern in das Innere geführt. Der Eingang findet sich in der Mitte der Nordseite einige Stufen über der im Sande verborgenen Basis der Pyramide. Es ist ein viereckiger Schacht von etwa 4 Fuss Höhe und 3% Fuss Breite, der schief hinabführt, dessen Fussboden sehr glatt ist und vor dem man die mitge- brachten Kerzen anzündet, um sich zurechtzufinden. Ein gewaltiger