Theben.
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rakters und Horizonts, über den der Aegypter nicht liinausgehen darf noch will, dann wird eine Fülle von Genuss auch darin aufgehen.
Allerdings hiess os in Aegypten Jahrhunderte und Jahrtausende lang fast unverändert: „So macht man einen Mann und so macht man ein Pferd.“ Von einer Kunst aber dürfen wir verlangen, dass sie mit einer neuen Beobachtung der erwähltesten Formen einer schönen Natur nachfalire. Das thut die ägyptische nicht. Die einmal, vielleicht mit Unrecht, legitimirten Formen werden ewig wiederholt. Soll z. B. eine Kuh dargestellt werden, dann gibt man die Kuh im Profil, ihre Hörner aber, welche, gleichfalls im Profil gefasst, sich decken müssten, werden in der Vorderansicht darauf gesetzt, also auseinander strebend, das eine nach hinten, das andere nach vorne geschweift. Niemand hat je eine solche Kuh gesehen, aber das Beispiel ist ansteckend, und wenn wir das Bild einmal gewohnt sind, können wir leicht in Versuchung kommen, es ebenso gedankenlos zu wiederholen. Oder denke man an jene Scene des Ochsenschlachtens, die immer dieselbe bleibt. Der niedergeworfene an den Füssen gebundene Ochs ist abscheulich falsch gezeichnet. Aber Niemandem fallt es ein, hinzugehen, wo dieser Anblick in Natur zu haben und auf Papier zu übertragen ist, sondern der Ochs wird ewig nur aus der Idee construirt, oder die einmal gegebene Construction ewig geschwatzt und geglaubt.
Aber bei alldem hätten wir Unrecht, wenn wir darum auf den Genuss verzichten wollten. Die ägyptische Kunst kann noch lange durch Geist ersetzen, was ihr an Mannichfaltigkeit und Dichtigkeit der Formen abgeht. Wir würden lieber Zusammenleben mit den ver- hältnissmässig unentwickelten Darstellungen aus der Zeit des ägyptischen Höhestands, als mit dem ganzen Pomp von inhaltsleeren Phrasen, der in manchen der gepriesensten Gebilde klassischer Kunst sich bietet. — —
Diese Figuren sind regelmässig mit dem Profil des Kopfes nach rechts oder links gewandt, die Brust aber erscheint immer ganz von vorn. Die Füsse sind wieder im Profil und bleiben es, auch wenn das Gesicht, was sehr selten ist, ganz von vorn gesehen wird. Eine Dreiviertelstellung des Gesichts kommt niemals vor. Wir sprechen von diesen Wandsculpturen, die in flachem Belief aus ihrer Fläche hervortreten. Aber auch von den freien Statuen, die in Aegypten zwar nicht mehr häufig sind und aus den Museen Europas uns bekannt sein müssen, wird der anspruchsvolle Ungeübte sich an der Unrichtigkeit der Formen stossen, an diesen zu hoch sitzenden Ohren, an diesen langen platten Füssen, an dem Mangel einer jeden lebensfähig werdenden Muskelangabe und an dem Mangel jeder selbstständigen Bewegung. Die Figuren sitzen entweder, mit : den Händen auf den Knieen, oder stehen, einen Fuss vorgesetzt, mit an die Seite gelegten Armen. Sehe man aber zu, ob ausser der Bewunderung über die glänzende Bewältigung des Materials in den polirten Granitflächen einer solchen Brust, eines solchen Schienbeins, nicht auch ein ergreifender Charakterernst allmählig immer fesselnder wird. Es ist wahr, über eine