Theben.
141
ist und die einzelnen Trümmergruppen nicht so tief wie anderwärts in aufstäubenden Schutt begraben, sondern offen und von dem Duft der nahen Felder und Gebüsche durchweht sind.
Es ist zugleich der einzige noch stehende Tempel, von dem eine Beschreibung der Alten übrig ist; denn unter dem Namen „Grab des Osimandyas“ wird er nach älteren Quellen ausführlich geschildert von Diodor. Wir erkennen die Pylone, wie sie dort aufgeführt sind, d. h. die einstige Felsenstirne des Heiligthums, bestehend aus zwei pyramiden- artig nach oben zu spitzer werdenden Quaderthürmen, welche die senkrechte Pforte zwischen sich nehmen. Die Fläche der Vordervvände ist herabgebrochen und begräbt in ihren wüst durcheinander liegenden Massen die in ihre Blöcke eingehauenen historischen Sculpturen.
Hinter diesem, auf der Bückseite noch glatten Steinwall des Thorsystems, das die Tiefe des ganzen Tempels deckt, befand sich der erste, vierseitige, mit Hallen besäumte Hof, von dem jetzt fast nichts als der Baum übrig ist. Am Eingang in den zweiten Hof sass einst die kolossale Figur des Königs Bamses II., die jetzt in ungeheuren Bruchstücken umherliegt. Es war die grösste Statue, welche die ägyptische Bildhauerei hervorbrachte; denn sie war gegen 60 Fuss hoch, und ihr Gewicht wird auf nahe an 900 Tonnen geschätzt. Eine ihrer Zehen misst nicht weniger als 3 Fuss. Der prosaische Sinn der Araber hat mehrere Mühlsteine aus ihrem Kopfe gehauen, ohne dass derselbe sehr wesentlich dadurch vermindert worden wäre. Das Material ist der schöne Granit der Nilkatarakte, und man weiss nicht, was man mehr bewundern soll, den prächtigen Stein ohne Bitz, ohne Spalte, die Kunst, die ihn so vollkommen bearbeitete und polirte, oder das Geschick, das ihn zu bewältigen und aus einer Entfernung von fast vierzig Meilen hieherzuschaffen im Stande war. Der Künstler, der die Statue schuf, war Mernnon von Syene. Auf ihr stand nach Diodor geschrieben: „Ich bin der König der Könige, Osmandias; so jemand wissen will, wie gross ich bin und wo ich liege, der übertreffe eines meiner Werke.“
Vom zweiten Hofe steht noch die Vorderecke rechts, Pfeiler, an welchen die angelehnten grossen Osirisfiguren, denen der Zerstörungsgeist der persischen Eroberer die Köpfe abgeschlagen hat, Andacht gebietend, Wache halten. Die Pfeiler sind durch Steingebälk unter sich und mit den Besten der Wand verbunden.
Drei Eingänge aus diesem zweiten Hof führten in einen grossen Saal, der „nach der Art eines Odeons“ erbaut ist und 48 Säulen hat. Er ist zum grössten Theile sehr gut erhalten. Eine Doppelreihe von 12 riesenhaften Säulen, 45 Fuss hoch und 23 Fuss Umfang habend, mit einem weiten Kelchcapitäl gekrönt, führt mitten hindurch und stützte die höhere aus behauenen Steinblöcken bestehende Decke. Die beiden Nachbarreihen brauchen einen hohen Fensteraufsatz über ihrem Knospenknauf, um bis zur halben Höhe mit dem Mittelschiffe zu kommen und eben durch ihre hochgehobenen Fenster dieses und den ganzen Saal erleuchten. Der Säulenwald zu beiden Seiten, in Beihen geordnet, trug gleichfalls mit der gekappten Knospe das tiefere Stein-