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Aegypten : Reisehandbuch für Aegypten / von Moritz Busch
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Von Assuan bis Wadi Haifa. 201

saftig und glühend, und ausserdem sieht man noch andere Gegen­stände, welche Kuchen und anderes Backwerk vorstellen zu sollen scheinen. Die Säulen der Vorhalle erinnern abermals an den dorischen Styl, während der Plan des Tempels mehr dem sogenannten etru­skischen entspricht, der beiläufig mit jenem verwandt ist.

Eine kleine Strecke weiter stromaufwärts, auf dem palmen­reichen rechten Ufer liegt Derr oder Dejr, in dessen Nähe sich ein Höhlentempel aus der Zeit Ramses II. befindet, der 110 Fuss tief in den Felsen gehauen ist und verschiedene Sculpturen zeigt, die indess grossentheils sehr beschädigt sind. Der Gott, der hier vorzüg­lich verehrt wurde, war Re, ausserdem stand der Tempel unter dem Schutze Amuns, Thoths und Pthahs.

Weiter fahrend gewahrt man Ibrim auf hoher Klippe, einst der letzte nach Süden vorgeschobene Grenzposten der römischen Welt­herrscher.

Ein Stück höher den Fluss hinauf, zu Tosko, schieben sich zwei Felsenriffe quer über den Nil, welche im Mai und Juni fast die Fahrt versperren und für eine Barke, die den Strom ohne Lootsen hinabführe, sehr gefährlich sein würden.

Endlich legt das Boot vor Abu Simbel an, und wir betreten seinen Höhlentempel, das gewaltigste Werk des gewaltigen Ramses Sesostris, nach Thebens Ruinen das sehenswürdigste Ueberbleibsel der alten Bau- und Bildhauerkunst im ganzen Nilthale.

Wir erblicken eine schiefe Felswand, vor welcher in senkrechten Nischen vier kolossale Statuen Ramses II. sitzen. Sie sitzen auf Thronen und sind mit ihren Piedestalen nahe an 70 Fuss hoch. Die Gesichts­länge beträgt 7 Fuss, die Breite über den Schultern ist 25 Fuss, vom Ellbogen bis zu den Fingerspitzen werden 15 Fuss gemessen. Aber von rechts her ist ein Strom feinen gelben Wüstensandes in den Thalraum herabgeflossen und hat den ersten Koloss ganz, den zweiten bis an die Schultern, den dritten und den vierten, der beson­ders gut erhalten ist, bis zu den Knieen verschüttet.

Wiewohl die Wirkung dieser grossartigen Tompelfajade, welche eine Höhe von 100 und eine Breite von 120 Fuss haben mag, sehr geschwächt ist, so hat sie doch in der Welt kaum etwas Aehnliclies. Man sollte nicht glauben, dass bei Statuen von so ungeheuerer Grösse

man denke sich ein Antlitz, das von Ohr zu Ohr 13 Fuss misst

der Gesichtsausdruck ein so ausnehmend schöner sein könnte. Das Angesicht der Ramses, bei allen jetzt sichtbaren Kolossen dasselbe, ist offenbar Porträt, da es entschiedene Aehnlichkeit mit den Statuen des Königs an andern Orten hat. Ausserdem haben manche von den Gesichtszügen des Steinbildes eine Individualität, die zu scharf aus­geprägt ist, um blos den allgemeinen Typus des ägyptischen Kopfes darzustellen. Die Fülle des gesenkten Augenlides, welches dennoch das grosse längliche Auge nicht deckt, die Nase, welche sich zuerst ein wenig der Adlernase nähert, aber sich dann nach den runden breiten Nasenlöchern hin senkt, die edle Breite der ruhigen Lippen und der