Dokument 
Aegypten : Reisehandbuch für Aegypten / von Moritz Busch
Entstehung
Seite
202
Einzelbild herunterladen

202 Von Assuan bis Wadi Haifa.

milde, heitere Ausdruck der Züge sind des Besiegers von Asien und Afrika und des Erbauers von Medinet Habu würdig.

Zwischen den beiden mittleren Kolossen, von denen der eine bis auf seine untere Hälfte zertrümmert ist, öffnet sich der Eingang in den Berg. Das Portal ist so versandet, dass man gebückt hinein-

f eben muss, um nicht an den ungeheueren Block zu stossen, der es eckt. In dem vorderen Baume, an den zwei Beihen viereckiger Pfeiler, die hindurchführen, lehnen, vier auf jeder Seite, die (ohne Mütze und Fussgestell) gegen 18 Fuss hohen Osiriskolosse mit hoher Königs- mütze, steifem Spitzbart und schön gefaltetem Hüftentuch. Sie haben alle die mächtigen Arme über der Brust gekreuzt und in den Händen halten sie verschiedene kaiserliche und königliche Symbole, worunter die dreschflegelartige Geissei nicht fehlt, die man so oft bei ägypti­schen Herrscherbildern bemerkt. Sie sind im edelsten Styl der alten Kunst ausgeführt. Die Gesichter waren einst theilweise bemalt, und der schwarze, Augapfel, der noch immer auf dem Weissen des Auges zu sehen ist, gibt ihnen einen gespensterhaften Ausdruck, und so starren sie, bis an die Knie im Sande begraben, auf den Beschauer herab wie ein versteinertes Biesengeschlecht, das durch einen Bann gebunden harren muss, bis der Erlöser kommt.

Karnak ist grossartig, sagt Taylor, indem er von diesem Höhlentempel spricht,aber seine Grösse ist eine menschliche. Der Tempel von Abu Simbel dagegen gehört den übermenschlichen Phan­tasien des Morgenlandes an, den Hallen der Geister oder den Beichen der entthronten Titanen der altgriechischen Mythologie.

Die Empfindung wird nicht geschwächt, wenn man durch die zweite Halle und den Tempel selbst geht, um in das Allerheiligste, die hinterste dunkle Kammer zu treten, die 200 Fuss tief im Felsen liegt. Es bedarf dazu der Kerzen oder Fackeln, oder man lässt sich ein Feuer von trocknen Palmenzweigen anzünden. Dann erblickt man einen Granitaltar und um denselben vier grosse Götterbilder mit Thier- und Menschenköpfen, die Hände auf die Knie gelegt. Sie waren einst mit lebhaften Farben bemalt. Die dritte Figur nach rechts neben einem blauen Amun und einem braunen Sonnengott ist König Bamses selbst. Die Wände sind mit Bildwerken von ihnen nnd ihren Mitgöt­tern in dem grossartigen kühnen Style der Zeit, des Sesostris bedeckt. Zur Seite sind acht kleinere Kammern in das Gestein gehauen, ohne Streben nach Symmetrie der Form oder nach Begelmässigkeit der Ver- theilung. In einigen von denselben laufen drei Seiten Sitzbänke herum, genau wie die Divans in den Häusern des heutigen Aegypten. Es waren wahrlich Gemächer für die Priester oder Tempeldiener.

Die interessantesten Sculpturen gewahrt man auf den Wänden der grossen Halle. Sie sind nach denen von Karnak und Medinet Habu die wichtigsten historischen Bildwerke dieser Art in Aegypten. Auf der Schlussmauer zu beiden Seiten des Eingangs befindet sich ein Bas­relief, das den König Bamses darstellt, wie er mit dem Streitkolben eine Gruppe gefangener Könige oder Häuptlinge erschlägt, welche er