Von Assuan bis Wadi Haifa. 203
bei dem Haupthaar erfasst hat. Amun spricht zu dem Könige, indem er ihm die Harpe (Schlachtsichel) reicht: „Ich gehe dir die Sichel, tödte mit ihr, ich gebe dir den Süden zu unterwerfen und den Norden zu besiegen und alle Stämme der verkehrten Geschlechter in die Flucht zu schlagen und das Gebäude deiner Herrschaft auszudehnen, soweit die Stützen des Himmels reichen.“ Es gehören zu jeder der beiden Gruppen zehn oder zwölf Mann, und die Gesichter zeigen denselben Unterschied der Race, den man bei ähnlichen Bildern in Theben bemerkt. Man erkennt die Gesichtsbildung des Negers, des Persers und des Semiten heraus. Sie alle bitten mit erhobenen Händen den Sieger um Gnade. Auf der südlichen Mauer wird der Unterschied zwischen den einzelnen Nationen noch deutlicher, indem hier zu der Zeichnung noch die Farbe kommt. Die Bildwerke auf den Seitenmauern des Tempels führen Scenen aus den Feldzügen des Ramses vor. Man erblickt den König wie zu Medinet Habu auf einem Wagen, den zwei Rosse im vollen Laufe in die Reihen der Feinde ziehen. Ramses schiesst seine Pfeile auf sie ab, und gerade vor ihm wird ein Wagenlenker, tödtlich verwundet, von seinem umstürzenden Wagen herabgeschleudert. Die Gruppen sind in kühnen Umrissen gemeisselt, die Figuren der Pferde voll Leben, das Gesicht des Königs aber zeigt keinerlei Aufregung, sondern die unbeugsame Ruhe des Schicksals.
Der Tempel ist von seinem Erbauer dem Sonnengotte Amun Re und — seinem eigenen Ruhme geweiht. Ueber dem Eingänge zwischen den beiden neben ihm zunächst sitzenden Kolossen gewahrt man eine schmale Nische, in welcher, frei herausgearbeitet, die Gestalt des erwähnten Gottes sperberköpfig mit der Sonnenscheibe auf dem Haupte steht. Von beiden Seiten ausserhalb der Nische erscheint in eingeschnittenem Umriss die Figur des Königs, der eine kleine Götterstatue als Opfer darbringt.
Am linken Beine des Kolosses links vom Eingänge findet sich eine uralte griechische Inschrift. Sie stammt aus dem siebenten Jahrhundert und es meldet in ihr einer der jonischen Söldlinge des Königs Psammetich, dass letzterer auf Elephantine zurückgeblieben sei und sie hieher vorausgeschickt habe — eine Nachricht, die sich auf die Notiz Herodots bezieht, nach welcher einst grosse ägyptische Heerhaufen aus Verdruss über die Bevorzugung der fremdländischen Söldlinge ihres Pharao ihren Garnisonsort Elephantine verliessen und nach Aethiopien übergingen. Die Ueberläufer wurden von den griechischen Kriegsknechten verfolgt, nicht erreicht und von dem Aethiopierkönig wohl empfangen, und die Aethiopier nahmen von ihnen mildere Sitte an.
Dem grossen Tempel gegenüber, in der nach Süden gerichteten Felswand des kleinen sanderfüllten Thaies trifft man einen zweiten kleineren Höhlentempel. Hier lehnen sechs Kolosse, von denen die grössten 35 Fuss haben, jeder in einer Nische und von der Nachbarfigur durch eine schiefe, mit Hieroglyphen beschriebene Bergrippe getrennt, als Fafadenzier. Es sind nicht dieselben, wie die am grossen Tempel. Die eine Riesengestalt, welche ein Bein vorsetzt, während sie ein