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I. In der Heimat
„Costüm, Organe, Vortrag, Decorazionen, Changirun- gen, Orchester“ sind tadellos; das Spiel ergreift ihn so gewaltig, daß er nach der Vorstellung keinen Appetit hat, sondern sofort „zum eleganten Neuner“, dem bekannten Literaten-Cafö jener Tage eilt, um bei einem Gläschen Sliwowitz das „Journal de Frankfort“ zu lesen. „König Ottokars Glück und Ende“ langweilt ihn; er mag wohl bei seiner unvollkommenen Kenntnis der deutschen Sprache die Schönheiten des Gedichtes nicht erfaßt und verstanden haben; weit besser hat ihm das französische Schauspiel „Flattersinn und Liebe“ gefallen. Ein Ballett in der „Leopoldstadt“ geht ihm etwas scharf auf die Sinne; er schlägt heimlich das Kreuz und betet: Ne nos inducas in tentatione — führe uns nicht in Versuchung. „In Wien — schreibt er abends noch ins Tagebuch — kann sich gewiß nur derjenige retten, der eine Neigung im Herzen hegt. Dies ist das beste Mittel gegen derley Erscheinungen. Achtung für höhere Gegenstände und etwas Schwärmerey sind dabey auch sehr gut als Preservativ anzuwenden.“
Aber bei aller Moralität ist Negrelli nicht blind gegen Frauenschönheit; er bewundert die Hände und Augen schöner Frauen und findet die Zahl der Schönen, die an einem herrlichen Frühlingsnachmittag auf der Bastey, auf der es „aussieht, wie in einer prächtig geschmückten Redoute“, lustwandeln, wie 2: 100; er lobt die sanftgrünen Kleider und die kleinen weißen Hüte, die die Wienerinnen so vorzüglich kleiden.
Am 23. Mjärz 8 Uhr morgens steht Negrelli in Audienz vor dem Kaiser. „Soeben — lesen wir im Tagebuch — komme ich von Sr. Majestät; mein Herz war ganz gerührt beim Anblick und guten freundlichen Mienen des großen Kaisers. Er hat mich wieder gekannt, und fragte mich um die Ursache meiner Reise