Dokument 
In der Heimat - In der Schweiz - In Österreich : mit einem Bildnisse / von Alfred Birk
Entstehung
Seite
53
Einzelbild herunterladen

5. Negrelli in Wien

53

und sagte: schon recht, machen Sie nur. Negrelli scheint des Kaisers berühmte Redensart:schon recht, wir werdens schon machen unrichtig verstanden zu haben. Die Güte, Freundlichkeit, die Schlichtheit und Einfachheit des Monarchen entzücken Negrelli, der überzeugt ist, daß der Kaiser bei der Ostermesse noch den Mantel trug, in dem er ihn vor zehn Jahren in Italien gesehen hat.

Die ersten aristokratischen Familien laden den jungen Baupraktikanten zu ihren Soireen und Haus­bällen; er ist bemüht, sich nicht als Kleinstädter zu ver­raten und seinem Innsbruck keine Schande zu machen. Es wird in den Gesellschaften viel französich gespro­chen, das ihm Blutstropfen entpreßt, aber auch italie­nisch, das ihm anheimelt, und schließlich doch immer wieder deutsch mit wienerischem Einschlag. Wien und die Wiener erobern sein Herz und sein Gemüt nur schrittweise, jedoch von Tag zu Tag mehr; er klagt über die Kutscher und den Straßenkot, über die Haus­meister und die Trinkgelder; der Hausmeister vom Trattnerhof, in dem er wohnt, verdient sich so wird ihm erzählt jährlich wohl an tausend GuldenSperr- sechserln und das Haus selbst trägt dem Eigentümer jede Stunde einen Dukaten. Die Umgebung Wiens findet er freundlich und ländlich, aber nicht imposant; freilich, es fehlen die Bergesriesen, die sein Innsbruck umgürten. Um so mehr erhebt ihn der Ausblick vom Stefansturme beim Untergang der Sonne und läßt in ihm den Wunsch rege werden, ein Dichter zu sein undhier oben seinen heißen Gedanken freyen Raum zu lassen.

Den technischen Studien obliegt Negrelli in Wien eifrig und fleißig. Überall findet er freundliche Auf­nahme; bei dem Wiener Baudirektor von Kudriaffsky, dem Erbauer der Sofienkettenbrücke über den Donau-