6. Vorarlberg
6.3
Negrelli war der rechte Mann für die „Rheinbaugeschäfte“, die ihm zugewiesen waren; er brachte der technischen Seite fachliches Verständnis entgegen; seine theoretischen Kenntnisse vervollständigte er durch das Studium von Duiles Werk, mit dessen Übersetzung ins Italienische er sich eifrig befaßte, während er für die Praxis die im Drautale, im Etsch- und Inntale erworbenen Kenntnisse mitbrachte; dazu kam eine seltene Begabung für rasche und scharfe Auffassung obwaltender, maßgebender Verhältnisse und für richtige Beurteilung der Wirkungsweise technischer Bauten. Wiederholt betont der Referent der Baudirektion in seinen Berichten an das Qubernium, daß er die für ein Projekt entscheidenden örtlichen Umstände leider nicht aus eigener Anschauung kenne, daß er aber den Vorschlägen und der Motivierung Negrellis volles Vertrauen entgegenbringe. Freilich stimmt Duile nicht immer und überall den Entwürfen Negrellis bei, beurteilt die Wirkung der Bauten anders als dieser, aber stets spricht er mit großer Achtung von Negrelli — füglich gibt es bei Bauten solcher Art gewöhnlich so viele verschiedene Meinungen, als Fachmänner darüber zu urteilen haben.
Nicht minder wichtig als das technische Talent war für die vorliegenden Aufgaben auch die diplomatische Begabung Negrellis. Er verstand es, die Bevölkerung aufzuklären und zu bekehren, sie für zweckmäßige Schutzanlagen zu interessieren und zu gewinnen, ihnen Vertrauen zu den Werken einzuflößen, sie geradezu für seine bauliche Tätigkeit zu begeistern. Er entfaltete eine unermüdliche Geduld im Verkehre mit den Vertretern der Gemeinden, die nicht so leicht von ihren unzweckmäßigen und kostspieligen Anlagen abzubringen und noch viel schwerer für das Zugeständnis