Der Grund zu diesem Hause wurde zu Anfang des Jahres 1675 gelegt; im März des nächsten Jahres war es im Bau bereits nahezu vollendet. Es repräsentirte eine Lehrwerk­stätte für alle heimischen Gewerbetreibenden, einen vollkommenen Fabriksbetrieb, d. h. einen Grossbetrieb mit ausreichendem Material, den vollendetsten Maschinen jener Zeit und den geübtesten Handwerkern, die im In- und Auslande zu finden waren. Das Kunst- und Werkhaus enthielt der Reihe nach ein grosses chemisches Laboratorium mit verschiedenen Destillir- und Schmelzöfen, eine Werkstatt zur Erzeugung von Majolicageschirr, eine Apotheke, eine Werkstätte zur Herstellung guter-Hausgeräthe, eine Seidenmanufactur mit drei «Band­mühlen», eine Wollmanufactur, sowie ausser dem «Häuslein zur Wohnung des Directors» nebst einem kleinen Laboratorium für «Präparation der Tinctur» und «Transmutation der Metalle» eine Art Hochofen, die Schellenbergische Schmelzhütte genannt, und eine venetianische Glashütte. Ein weitaussehendes, vielversprechendes Industrialwerk, wie es später nicht wieder erstehen sollte. Trotz vielseitiger, heftiger Anfeindung offener und geheimer Gegner stand Becher selbst zehn Jahre lang seiner Schöpfung vor, um sich sodann ins Ausland zu begeben, in Westdeutschland und Holland neue tüchtige Manufacturmeister eben für das Kunst- und Werkhaus anzuwerben.

Er kehrte nicht mehr zurück. Ein Jahr nach seinem Tode aber, während der furcht­baren zweiten Belagerung Wiens durch die Türken (1683), wurde mit dem grössten Theil der Stadt und ihrer Vorstädte auch das kaiserliche Kunst- und Werkhaus in der Leopold­stadt gänzlich niedergebrannt. Spätere Versuche eines Wiederaufbaues blieben erfolglos.

Nach Möglichkeit war Leopold I. bemüht, die Wunden zu heilen, die der «Erbfeind der Christenheit» seinen Ländern geschlagen hatte. «Und ist leider Jedermänniglich von selbst bekannt,» besagt ein Patent vom 12. Februar 1684, «wie dass durch den feindlichen türkischen Einfall das Land Oesterreich unter der Enns dermassen verwüstet und depopulirt worden, dass an der Mannschaft, sonderlich der Handwerker, ... ein grosser Mangel bei der Stadt Wien und auf dem Lande erscheinen wird; wie dann die meisten, so entweder von dem grausamen Erbfeind nicht niedergehauen oder in Dienstbarkeit hinweggeführt worden, nach und nach dahingestorben sind oder sich sonst auf eine Zeit verloffen haben, also dass bei künftiger Sommerszeit mit den Gebäuen schwer fortzukommen sein wird. ...» Dem Mangel abzuhelfen, wurden geeignete Massnahmen getroffen. Doch nur allmälig ging der Wiederaufbau vorwärts, zumal mit dem Entsätze Wiens der Türkenkrieg keineswegs schon beendet war, gleichzeitig aber Frankreich und sein «allerchristlichster» König die Gelegenheit benützten, Deutschland wieder unter den nichtigsten Vorwänden räuberisch in den Rücken zu fallen.

Man muss die ganze Grösse der herrschenden Drangsal und Gefahr sich vor Augen führen, um zu ermessen, welcher immense Muth der Ueberzeugung und welcher glühende Patriotismus dazu gehörte, unter solchen trostlosen Verhältnissen das Wort zu finden und der Welt zu verkünden, das schöne, seither unzählige Male wiederholte Kampf- und Trostwort: «Oesterreich über Alles wenn es nur will!»

Unter diesem Titel liess Philipp Wilhelm von Hörnigk, vormals Geheimer Rath und Gesandter des Cardinalbischofs von Passau, im Jahre 1684 ein Buch erscheinen, von welchem hundert Jahre später berufenerseits behauptet werden konnte, «dass Oesterreich den grössten Theil seines heutigen Wohlstandes diesem Buche zu danken hat denn es machte bei seiner Erscheinung so viel Aufsehens, wurde so oft aufgelegt, so begierig gelesen und ent­hält so kenntnisvolle Anleitungen, dass derselben Ausführungen eine natürliche Folge war.» 1 )

r ) Benedict Franz Hermann, Herrn Johann von Horneks Bemerkungen über die österreichische Staatsökono­mie (o. O. 1784). Vgl. H. J. Bidermann, Die technische Bildung im Kaiserthume Oesterreich (Wien 1854), S. 22 f.

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