handel erreichte bereits seine frühere Bedeutung. Wien wurde der Stapelplatz des mittel­europäischen Baumwollhandels. Die sächsischen Landesversammlungen der Jahre 1722, 1728 u. s. w. remonstrirten dagegen, dass die Wirkereien und Webereien des Landes «ihre Baumwolle von Wien beziehen.»

Doch nicht auf einzelne Punkte war die Aufmerksamkeit des Kaisers gerichtet; er hatte das Ganze im Auge. Ihm dankt die erste Porzellanfabrik Oesterreichs in Wien ihre Ent­stehung, die 1718 mit einem fünfundzwanzigjährigen Privilegium versehen wurde und berufen war, durch ein Jahrhundert und darüber hinaus für unsere keramische Industrie als Muster­anstalt zu wirken. 1 ) Gleichfalls im Jahre 1718 erschien ein neuer (protectionistischer) Zolltarif für Schlesien, der aber in Breslau mannigfache Klagen hervorrief. Schon im nächstfolgenden Jahre wurde Abhilfe zu schaffen gesucht, und bereits 1721 traten Ermässigungen des Tarifs ein, bis nach eingehenden, sorgfältigen Untersuchungen über die Bedürfnisse Schlesiens 1739 für dieses Land abermals ein Zolltarif erschien, der demselben im Vergleiche mit den anderen Provinzen grosse Begünstigungen einräumte, so zwar, dass letztere nach mehr als einer Rich­tung in eine gewisse Abhängigkeit von Schlesien geriethen, namentlich Böhmen, dessen Textil­industrie, und zwar schon nicht mehr blos für Leinen, sondern auch für Tuche, Halb- und Baumwollstoffe, Strümpfe und Hüte, die Dienste Schlesiens stark in Anspruch nahm. Schlesien wurde für Böhmen, und bald nicht für Böhmen allein, sozusagen der Grosshändler. Der Kaiser bewirkte, dass Russland verstattete, den dreizehnten Theil seiner Handelswaaren nach Schlesien auszuführen; der Export schlesischer Leinen nach England wurde schwunghaft betrieben, so dass er unter Karl VI. seinen Höhepunkt erreichte; die Tuchindustrie des Landes aber vermehrte in den Jahren 17201735 ihre Production von 59.000 auf 95.700 Stück. 2 ) Die «General- Zunftsartikel» für die «böhmischen Provinzen» vom 3 o. November 1731 stellten, so wie diejenigen für Ober- und Niederösterreich und Tirol, dann die für Innerösterreich vom 19. April, beziehungsweise 21. Juni 1732 3 ) in den Handwerken aller dieser Länder grössere Ordnung her und trugen zugleich bei, die Freizügigkeit der einzelnen Gewerbetreibenden mehr und mehr zu fördern. In Triest wurde im Jahre 1731 eine oberste Commerz-Intendanz bestellt, welcher sämmtliche auf den Handel bezügliche Angelegenheiten, die sonst stets als landesherrliche Reservate betrachtet worden waren, zugewiesen wurden. 4 )

Unausgesetzt war Karl VI. bei alledem auf die weitere Ausgestaltung seiner Lieblings­schöpfung, der Orientalischen Compagnie, bedacht. Welche weitgehende, vordem nicht geträumte Perspective sich für sie eröffnete, ergibt sich aus der wenig bekannten Thatsache, dass Karl VI. allen Ernstes an die Verfolgung einer Colonialpolitik, ganz nach unseren heutigen Begriffen, dachte und. nicht blos dachte. Mit seinem Zuthun ergriff für ihn, als Kaiser, Capitain de la Merveille, ein Franzose in belgischen Diensten, am 23 . August 1719 Besitz von dem Hafen von Cob 1 on (Sadatpatnam) an der Küste von Coromandel, fünf Meilen von Madras, nachdem die Abtretung des Hafens durch den Nabob oder Vicekönig des Grossmoguls erfolgt war, unter ausdrücklicher Zusicherung, zur Gründung anderer Factoreien in jenem Lande seine Unterstützung gewähren zu wollen. 5 ) Jede Bedingung schien geboten, Oesterreich im Verein mit den Niederlanden den ersten Handelsstaaten der Welt an die Seite zu stellen.

9 Prof. Dr. Ottokar Weber, Die Entstehung der Porzellan- und Steingut-Industrie in Böhmen (Prag 1894), S. 7.

9 Adolf Beer, Die handelspolitischen Beziehungen Oesterreichs zu den deutschen Staaten unter Maria Theresia (Wien 1893), S. 3 f. Vgl. H. Fechner, a. a. O., S. 5 f.

3 ) W. Gustav Kopetz, Allgemeine östreichische Gewerbs-Gesetzkunde (Wien 1829), I, S. 15f.

4 ) Ernst Becher, a. a. O., S. 24.

5 ) Alfred R. v. Arneth, Prinz Eugen von Savoyen (Wien 1864), III, 129f.

Die Gross-Industrie. I. 4

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