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Die Groß-Industrie Oesterreichs : Festgabe zum glorreichen fünfzigjährigen Regierungs-Jubiläum seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. dargebracht von den Industriellen Österreichs 1898 ; Erster Band
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Also in 67 Jahren oder zwei Menschenaltern eine Kürzung der wöchentlichen Arbeits­zeit um 15 Stunden oder um 2'/, Stunden am Tage. Das liest sich leicht, aber welcher un­geheure Erfolg liegt darin! Gleichzeitig sind die Löhne von einem durchschnittlichen Taglohne von 19 pence oder 78 Kreuzer Gold im Jahre 1847 bis 1897 auf mehr als das Dreifache gestiegen.

Eine andere Thatsache: Nach dem amtlichen Census der Vereinigten Staaten betrug im Jahre 1885 der Vermögensbesitz für die Person 3 oo Dollars, im Jahre 1895 aber schon 1000 Dollars.

Hätten wir gar keine anderen Beweise als diese beiden sicheren Daten, so wäre schon durch sie die Lehre von dem zunehmenden Elende als ganz hohl und falsch dargethan. Aber was in den vorgeschrittensten Ländern am bestimmtesten und am frühesten zu Tage tritt, findet, wenn nicht ganz besondere Uebelstände herrschen, in allen modernen Industrieländern statt: die Arbeitszeit hat die Richtung nach abwärts, der Lohn nach aufwärts.

Oesterreich war nicht in der glücklichen Lage wie das altbefestigte, reiche England, dessen Boden seit 3 oo Jahren nicht mehr von einem auswärtigen Leinde betreten wurde, und doch hat sich auch bei uns das Schicksal der arbeitenden Classen durchwegs verbessert.

Die Zahl der Arbeitstage im Jahre beträgt in Oesterreich 295, und sie ist geringer als in Italien, Belgien, Lrankreich, Schweiz, Baiern, Sachsen, Dänemark, Norwegen, Preussen (305), Holland ( 3 12) und Ungarn ( 3 12). Nur Russland, England und Spanien haben noch weniger Arbeitstage im Jahre.

Die tägliche Arbeitszeit lässt sich bei uns in den leichteren Betrieben auf 11 Stunden, in den schwereren auf 10 Stunden anschlagen, sie geht aber auch auf 9, ja 8 Stunden zurück. Die Besserung lässt sich am sichersten an den vorgeschritteneren Industriezweigen erkennen: so besteht in vielen Maschinenfabriken schon seit 1870 der Zehnstundentag, und der Wochen­verdienst beläuft sich auf 10 bis 15 Gulden, während sehr gute Arbeiter und Werkmeister schon auf einen Jahreslohn von 1200 bis 1600 Gulden kommen. Nach den amtlichen Aus­weisen stiegen (auf Basis eines angenommenen Taglohnes von 100 in den Jahren 1839 bis 1847) die Löhne in Wien: in den Jahren 18711875 auf 292B und in den Jahren 1891 bis 1895 auf 3 o 9 - 5, also hob sich der Jahr es verdi enst auf das Doppelte und Drei­fache. Und das geschah in einer Zeitperiode, in welcher, wie obendargethan ward, in Oesterreich drei Millionen von Dampf-Pferdekräften aufgestellt wurden. Es kann daher wohl der einzelne Arbeiter durch die Concurrenz der Maschine geschädigt werden, aber niemals die Arbeiterschaft und die Arbeit, und die Arbeiter werden sich um so besser stehen, je mehr Maschinen in einem Lande thätig sind. Gibt es einen stärkeren, einfacheren Beweis für die Nothwendigkeit des Zusammenwirkens von Capital und Arbeit?

Danach wird der sociale Kampf zu einer Zeit- und Bildungsfrage und dreht sich eigent­lich um das Tempo des Lortschrittes. In einer Rede «Ueber politische Bildung» sagte im Jahre 1891 der Rector der Universität Wien, Adolf Exner: «Der Wahn, als ob alles an sich Schöne und Wünschbare gemacht werden könnte, wollten nur die sogenannten maass­gebenden Lactoren ein Einsehen haben und sich dazu entschliessen, bildet ja die breite Unter­lage der gemeinen politischen Kannegiesserei.» Was von der Politik gilt, gilt mindestens im gleichen Grade von wirtschaftlichen Dingen.

Die nichtarbeitenden Agitatoren behaupten, die Kürzung der Arbeitszeit und die höhere Entlohnung der Arbeiter hänge nur vom Belieben der Unternehmung ab, während die richtige

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