gebiet eröffnet werden. Russland kommt hier nicht so sehr in Betracht; denn das riesig aus­gedehnte Reich schliesst sich noch immer durch hohe Zölle gegen den europäischen Westen ab, arbeitet aber energisch an der Entwicklung seiner Grossindustrie und wird als ton­angebende Grossmacht in Europa und Asien wohl seinen eigenen Weg gehen. Aber Ost­asien, politisch schwächer, steht heute schon unter dem Einflüsse der Industriemächte, und an seinem wirthschaftlichen Aufschwünge sind alle europäischen Grossmächte im hohen Grade interessirt. Allerdings wird ein solcher Aufschwung nur dann Europa zugute kommen, wenn die Industrie Ostasiens nicht allzu rasche Fortschritte macht. Um die Grösse dieses Marktes auch durch eine Ziffer anzudeuten, sei erwähnt, dass im Jahre 1892 Niederländisch- und Britisch-Ostindien, Japan und China für ungefähr 860 Millionen Goldgulden Fabrikate bezogen; heute dürfte der Markt von einer Milliarde nicht weit entfernt sein. Hebt sich in diesen Ländern der Verbrauch von Fabrikaten per Kopf nur auf das Doppelte ein Fall, der bei der Erschliessung von China durch Oeffnung der Seehäfen und den Bau von Eisenbahnen sicher eintreten würde dann würde das für die europäischen Industriestaaten schon einen Mehrabsatz von 1 Milliarde Goldgulden bedeuten. Würde aber der Chinese jährlich so viel verbrauchen wie heute der Serbe (5.3 Goldgulden), der bescheidenste Consument unter den Balkanvölkern, so würde der Mehrbedarf Chinas an Fabrikaten allein schon über 2 Milliarden Goldgulden anwachsen. Was dies für die europäischen Fabriken zu bedeuten hätte, ist kaum auszudenken. Hier liegt eine grosse Conjunctur in nicht allzuferner Zukunft.

Dass von dieser Conjunctur Oesterreich-Ungarn nicht ausgeschlossen bleibe, ist gewiss der heisse Wunsch jedes Oesterreichers, dem die wirthschaftliche Entwicklung des Vaterlandes am Herzen liegt.

eberblickt man nun das Ergebnis der Entwicklung des Aussenhandels der Monarchie, dann ergibt sich, dass der Aussenhandel in den letzten fünfzig Jahren erfreuliche Fort­schritte aufzuweisen hat, dass aber diese Entwicklung, gemessen an den Fortschritten der grossen Industriestaaten, eine sehr bescheidene war. Der Uebergang vom Agrar- zum Indu­striestaat im Rahmen des Aussenhandels ist nicht zu verkennen, aber der Aussenhandel blieb in der Hauptsache ein Handel mit unseren Nachbarn, und er vollzog sich vorwiegend auf dem Landwege. In Bezug auf die Durchfuhr sind wir die Verbindungsbrücke zwischen dem industriellen Westen und dem landwirthschaftlichen Osten und Süden, eigentlich das Durchfuhr­land des Deutschen Reiches. Die Zukunft unseres Aussenhandels wird von der weiteren Entwicklung der vaterländischen Industrie abhängig, sein Aufschwung nur von einer Steigerung des Fabrikatenexportes zu erwarten sein. Dazu ist aber ein Eintreten in den Wettbewerb, ein Eintreten in den Kampf um die noch so entwicklungsfähigen überseeischen Absatzgebiete unbedingt erforderlich. Diese Ueberzeugung hat sich in letzterer Zeit Bahn gebrochen und verschiedene Vorhaben der Regierung wie der Geschäftswelt gezeitigt, von denen sich einige Besserung erhoffen lässt. Beginnend bei der Wurzel, soll das Unterrichtswesen (Consular- Akademie, Export-Akademie) reformirt, den Bedürfnissen der producirenden Kreise grössere Aufmerksamkeit geschenkt (Industrie und Landwirthschafts-Rath), der österreichisch-ungarische Staatsbürger im Auslande mehr geschützt, seine Interessen nachdrücklicher gefördert werden. Das soll durch Abschluss von neuen Handelsverträgen, insbesondere mit überseeischen Staaten, Reform des Consularwesens, Regelung der Auswanderung (Colonialgesellschaft, Auswanderungs­gesetze), L'nterstützung der Handels- und Vermehrung der Kriegsmarine erreicht werden.

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