Schon hierdurch erklärt sich der von der Industrie geübte Reiz zur Vermehrung der Bevölkerung und deren Verdichtung an einzelnen Punkten. Noch grösser wird derselbe durch die, im Allgemeinen, grössere Stetigkeit des Erwerbes und die hiedurch ermöglichte bessere Lebensführung des industriellen Arbeiters.

Abgesehen von der gleichfalls in diesem Sinne wirkenden, das Thatsächliche an Kraft noch überholenden Vorstellung vermeintlich völliger Ungebundenheit der in der Industrie Beschäftigten und den, durch eine grössere sesshafte Menschenanhäufung an sich gebotenen Zerstreuungen, wird die Attractionskraft der Industrie in der Gegenwart noch erheblich gesteigert durch die Arbeiterschutzgesetze, durch die bessere Vorsorge im Erkrankungs- und im Unglücksfalle, durch Wohlfahrts-Einrichtungen der mannigfachsten Art und, wahrlich nicht zum Wenigsten, durch die in der industriellen Arbeiterschaft sich ungleich kräftiger äussernde Vereinsthätigkeit.

Durch die Beschaffenheit des Bodens ungleich weniger beeinflusst, ja von derselben fast unabhängig, entstehen industrielle Betriebe auch in Gegenden, welche der Landwirthschaft kaum oder nur unter Aufbietung grosser Mittel zugänglich sind. Wir sehen Dampfschlote aufragen auf öden, jeder Cultur entrückten Landstrichen und auf solchen, die vordem menschen­leer gewesen, Culturcentren sich bilden; denn der grossen Betriebsstätte folgen die Einrich­tungen und Vorkehrungen des grossen Bedarfes.

Allerdings wird mit einiger Berechtigung geklagt über das Eintönige so mancher Arbeitszweige und die abstumpfende, ja geisttödtende Wirkung der stetig vorschreitenden Arbeitstheilung 1 ) und der mehr und mehr zur Herrschaft gelangenden Maschine. Auch die Klage erscheint nicht unbegründet, dass hierdurch im Arbeiter nur allzuleicht der Trieb geweckt wird, in oft bedenklichen Vergnügen Erholung zu suchen.

Doch sind verschiedene, beruhigende Momente zu berücksichtigen. Mehr und mehr verbreitet sich, im Gegensätze zu der, bis in die neuere Zeit in Geltung gestandenen An­schauung, dass erst von einer vorgerückten Arbeitsstunde (der 12.!) ab für den Betrieb ein Reinertrag sich ergäbe, die Erkenntnis, dass die bis zu einer gewissen Grenze erfolgende Kürzung der Arbeitszeit im Betriebe nicht nur eine menschlich vollberechtigte Forderung ist, sondern sich auch ökonomisch vortheilhaft erweist.

Wer könnte ferner bestreiten, dass in dem denkreifer und für feinere Genüsse empfäng­licher gewordenen Arbeiter Lernbegierde und der Sinn geweckt werden für Erholungen und Zerstreuungen edlerer Art? Bereits überhebt die Erfahrung der Nothwendigkeit, dies zu erweisen.

Auch verdient die Thatsache einige Beachtung, dass die verfeinerte oder in ihrer Leistungsfähigkeit gesteigerte Arbeitsmaschine an die sie leitende, ja selbst an die sie bedienende Menschenkraft oft so hohe Anforderungen stellt, dass es gut geschulter und wohl vorgebildeter

fl «Bekanntlich hat Adam Smith den wunderbaren Vortheilen weit getriebener Arbeitstheilung eine glänzende Stelle seines Buches, die Darstellung der ihr zu verdankenden Nähnadelfabrication zur Veranschaulichung benutzend, gewidmet, ohne sich zu fragen, ob nicht etwa mit diesem Vorzüge ein Nachtheil in der geisttödtenden Einförmigkeit der auf Viele vertheilten Thätigkeit verbunden sei. Man hat ihm diese vor dem Eintritte der Dampfmaschinenära wohl entschuldbare Einseitigkeit zum herben Vorwurfe machen wollen, meines Erachtens mit arger Uebertreibung des Uebels. Um dies Uebel zu schildern, wählt man die extremsten Fälle; man vergisst, dass auch ausserhalb der Fabriksindustrie eine Menge höchst monotoner Arbeit verrichtet wird und von jeher verrichtet worden ist, und man übersieht, dass dieselbe Zeit, die uns das Uebel gebracht hat, auch an vielen ihm entgegenwirkenden Einflüssen es hat nicht fehlen lassen. Will man im Ernste behaupten, dass die Arbeiter heute durchschnittlich stumpfsinniger geworden seien als vor hundert Jahren? Mir kommt diese nörgelnde Weisheit so vor, als ob man der grossen Erfindung der Dampfmaschine den Rauch aufmutzen wollte, der aus den Schornsteinen aufsteigt. Man sinne lieber auf Rauch verbrennungsmittel.» (Essays von Otto Gildemeister, Berlin 1897.)

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