äussernder Erwerbstrieb im Spiele waren, zu bekämpfen. Im Sinne und im Geiste des Redners konnte der evangelisch-sociale Congress aussprechen, «dass an der socialen Tendenz festzuhalten sei, welche durch Hebung der Schule und der technischen Bildung und durch Stärkung der moralischen Kräfte des ganzen Volkes diesen heilsamen Process befördern und damit zugleich dem zum Mittelstände aufsteigenden Theile der Bevölkerung wirthschaftlich und social nützen will».

Wenn wir die so bedeutsame Feier der fünfzigjährigen Regierung unseres Kaisers, eingedenk des in diesem Zeiträume zu verzeichnenden Handels Oesterreichs, in gehobener Stimmung begehen, müssen wir unter den Kräften, welche diesen Wandel bewirkten, der Industrie eine hervorragende Stelle einräumen, noch mehr, wir müssen sie, in Würdigung ihres tiefreichenden Einflusses, als einen der mächtigsten Factoren dieser Umwandlung bezeichnen.

So interessant aber auch, um ihrer gewaltig treibenden Kraft willen, die Entwicklung der österreichischen Industrie in einem verhältnismässig so kurzen Zeiträume erscheint, dessen überreichen Inhalt einige Schlagworte kennzeichnen, wie: Bessemerprocess, rotierende Oefen, Gasregeneration, Ammoniaksoda, Conservierungsmethoden, Paraffin, Dynamit, Diffusionsverfahren, technische Verwerthung des Glycerins, Theerfarben . . ., müssen wir doch die Wandlung, welche sich in Bezug auf die rechtliche und die sociale Stellung des Arbeiters vollzogen hat, als noch interessanter und für die Zukunft noch bedeutsamer bezeichnen.

is ins sechste Jahrzehnt hinein war die der grossen Menge zugängliche Schulbildung mehr als dürftig. Engherzigsten Sinnes bezeichnete es die «politische Schulverfassung» als Fehler, das Kind mehr zu lehren, als es in den Verhältnissen, aus welchen es während seines Lebens nicht herauskommen soll, unbedingt braucht. Oeffentliche Institutionen gab es nicht, die Presse war, um den allermildesten Ausdruck zu gebrauchen, so recht unbe­deutend, ja nichtssagend, in Folge dessen entfielen zwei der mächtigsten Bildungsquellen.

Berechtigten schon die besser situierten Classen in Bezug auf verständige und ernste Auffassung des Lebens und das Erkennen von Pflichten gegenüber dem Staate und der Gesellschaft nur zu häufig zu begründeter Klage, so kann es nicht befremden, dass das Loos der wirthschaftlich minder gut gestellten Volksschichten, insbesondere der nur oder doch vorwiegend auf ihre physische Arbeitskraft Angewiesenen, Unwissenheit und gering entwickelte Denkfähigkeit war. Man lebte in der ersten Hälfte dieses Jahrhundertes in Oesterreich vor­herrschend, unbekümmert um die Zukunft, nur der Gegenwart, ertrug, im anerzogenen Unter- thanensinne, das eben Beschiedene mit Gutmüthigkeit ohne Murren, ohne Klage.

Gutmüthigkeit und leichter Sinn, der dem Principe: «Leben und leben lassen» huldigte, machten das Arbeitsverhältnis im Allgemeinen erträglich, vielfach sogar freundlich und ver­liehen ihm ein entschieden patriarchalisches Gepräge.

Der von der Mitte dieses Jahrhunderts an sich mehr und mehr verbreitende fabriks- mässige Betrieb, die steigende Verwendung von Kraft- und Arbeitsmaschinen leiteten wie im wirthschaftlichen, so im socialen Leben eine immer mehr um sich greifende Wandlung ein.

In engherziger Auffassung fassten nur zu viele Industrielle den Erwerb als Lebens­ziel auf. Indem sie in ihrer Haltung gegenüber den verwendeten Arbeitskräften sich nur durch das Gesetz von Angebot und Nachfrage bestimmen Hessen, übersahen sie nur zu oft

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