deren berechtigte Ansprüche auf ein menschenwürdiges Dasein. Wie in den vorgeschrittenen Industriestaaten sehen wir auch in Oesterreich die Arbeitszeit auf Kosten der Lebensdauer des Arbeiters übermässig ausgedehnt, werden ferner, da die Arbeitsmaschinen dies technisch zulässig machen, in steigendem Maasse Frauen, jugendliche Arbeiter, ja selbst Kinder als billigere Arbeitskräfte im Fabriksbetriebe verwendet. Zu der durch vielfach überreiches Angebot von Arbeitskräften ermöglichten, wenn auch die landwirtschaftlichen Löhne über­bietenden, doch an sich geringen Entlohnung gesellt sich eine leider mehr und mehr um sich greifende geringschätzige und leicht als Uebelwollen angesehene Behandlung der Arbeiterschaft. Durch die Grösse der Betriebe veranlasst, schieben sich unvermeidliche Zwischenglieder ein,

die nur zu oft verschlimmernd wirken. Die Gunst des «Herrn» wird auf Kosten der Arbeiter

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zu erwerben gesucht. Zum Lohndrucke gesellen sich noch Unregelmässigkeiten der Zahlung und, noch schlimmer, Entrichtungsarten, die den Empfänger zwingen, von dem kärglichen Verdienste, der da und dort fast den Charakter einer Gnadengabe annimmt, noch an Dritte abzugeben, nur um das Wenige sich zu erhalten, das das bescheidene, an Bedürfnislosigkeit heranreichende Existenzminimum oft noch unterbietet. An vielen Punkten bereiten sich geradezu das Erbarmen herausfordernde, für die staatliche und gesellschaftliche Entwicklung höchst bedenkliche Zustände; denn die, durch Verhältnisse, wie die angedeuteten, dauernd verringerte Lebensfreudigkeit weckt nur allzuleicht den Hang zur Ausschweifung, untergräbt den Sinn für geregeltes Familienleben mit seiner strengeren Zucht und die Fähigkeit zur vernünftigen Lebensführung.

Dieser unerfreulichen Gestaltung und den hierdurch veranlassten, nur allzu begründeten Besorgnissen für die Zukunft sucht das kaiserliche Patent vom 12. December 1859 zu begegnen.

An Stelle der vielen vereinzelten, das Gewerbeleben regelnden Normen trat eine für das ganze Reich (ausgenommen sind nur das venetianische Verwaltungsgebiet und die Militär­grenze) gütige einheitliche Gewerbeordnung. Ausser dem grossen, durch sie anerkannten Principe der Gewerbefreiheit erscheinen an dieser Stelle anführenswerth: «Die Art der Verwendung eines Gehilfen, seine Bezüge und sonstige Stellung, die Dauer des Dienstver­hältnisses, die allfällige Probezeit und die Kündigungsfrist werden als Gegenstand freier Uebereinkunft bezeichnet.»

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«Für grössere, das ist gewöhnlich mehr als 20 Arbeiter in gemeinschaftlichen Werk­stätten beschäftigende Gewerbsunternehmungen wird eine in den Werkstätten anzuschlagende Dienstordnung» vorgeschrieben, in welcher bestimmte, im Gesetze bezeichnete Punkte zu regeln sind.

Des Ferneren wird angeordnet, dass, «wenn mit Rücksicht auf die grosse Zahl der Arbeiter oder die Natur der Beschäftigung eine besondere Vorsorge für die Unterstützung der Arbeiter in Fällen der Verunglückung oder Erkrankung nöthig erscheint, die Unter­nehmung eine selbstständige Unterstützungscasse dieser Art zu errichten oder einer schon bestehenden beizutreten habe». Endlich werden Beschränkungen vorgezeichnet in Bezug auf die Verwendung, die Arbeitszeit und die Arbeitsdauer von Kindern und Individuen unter 14, beziehungsweise unter 16 Jahren.

Theoretisch betrachtet, verdienen diese Bestimmungen, welchen noch einige an sich ver­hältnismässig weniger bedeutsame, doch die Rechte des Arbeiters in anerkennenswerther Weise erweiternde Anordnungen sich anreihen betreffend die vorzeitige Lösbarkeit des Arbeits­verhältnisses und die Schadloshaltung des Arbeiters im Falle der vorzeitigen ungesetzlichen

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Die Gross-Industrie. I.

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