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Die Groß-Industrie Oesterreichs : Festgabe zum glorreichen fünfzigjährigen Regierungs-Jubiläum seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. dargebracht von den Industriellen Österreichs 1898 ; Erster Band
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Begehren, wie z. B. der Declassirung des Unternehmers, ohne welchen, wie es sehr leicht nach­weisbar ist, ein kräftiger Pulsschlag des industriellen Lebens schlechtweg undenkbar ist. 1 )

Es dürfte diese kluge Selbstbeschränkung umsomehr gerathen erscheinen, als zu der wiederholt gedachten moralischen Disposition der das öffentliche Leben bestimmenden Factoren die im Sinne der berechtigten Wünsche der Arbeiterschaft wirkenden Erscheinungen sich gesellen, welche im «naturwissenschaftlichen Zeitalter», wie Dr. Werner Siemens unser Zeitalter charakterisirt, mit Nothwendigkeit sich vollziehen. 2 )

Ermunternd und erhebend wirkt es, von einem so bedeutenden Forscher als Etappen der durch die stetig vorschreitenden Naturwissenschaften unaufhaltsam bewirkten Entwicklung bezeichnet zu hören, dass dem Menschen durch die wachsende Benützung der Naturkräfte zur mechanischen Arbeitsleistung die schwere Körperarbeit mehr und mehr abgenommen, die ihm zufallende Arbeit immer mehr eine intellectuelle wird; dass in weiterer Folge bei geringerer Arbeitszeit doch immer ein weit grösserer Antheil von dem Producierten auf jeden Menschen entfällt. Wie lockend erscheint die in Folge von seither gemachten Entdeckungen nicht vermessen erscheinende Verheissung, dass es der Chemie, im Bunde mit der Elektro­technik, dereinst sehr wahrscheinlich gelingen wird, aus der unerschöpflichen Menge der überall vorhandenen Elemente der Nahrungsmittel diese selbst herzustellen und dadurch die Zahl der zu Ernährenden von der schliesslichen Ertragsfähigkeit des Bodens unabhängig zu machen. Tröstend klingt die Hinweisung darauf, dass die Richtung der volkswirthschaftlichen Entwicklung unzweifelhaft dahin geht, dass die Menschen künftig eine viel kürzere Zeit zu arbeiten brauchen, um ihre Lebensbedürfnisse zu gewinnen.

Bedarf es aber eines Zukunftsbildes, um uns mit Vertrauen zu einer friedlichen Fort­entwicklung zu erfüllen? Bietet nicht die Gegenwart Erscheinungen, welche in unwiderleg­licher Weise die Gestaltungskraft im Sinne des Fortschrittes erweisen? Angesichts der weithin umgestaltend wirkenden Macht der materiellen und geistigen Verkehrsmittel der Gegenwart erfüllt es mit Befriedigung, der in Belgien sich vollziehenden Erscheinung der gleiche Ziele anerkennenden liberalen «Alliance» und der «Fédération des ouvriers liberaux» zu gedenken. Unverkennbar treten uns hierin entgegen die erfreuliche Erkenntnis der Nothwendigkeit regeren Verkehres mit den aufstrebenden Gesellschaftsschichten und das beruhigend wirkende Zugeben der Möglichkeit, die Forderungen der liberalen Arbeiterorganisationen in friedlicher Weise zu erörtern. Es sei des Ferneren auf die Carteilfrage verwiesen, unbestreitbar eines der schwierigsten, unleugbar auch eines der interessantesten Probleme der Wirthschaftspolitik unserer Tage. Das Ziel der Vereinigungen ist, insoweit nicht Gewinnsucht ihren Entstehungs-

J ) «Der Unternehmer hat nicht blos dem todten Stoffe Leben einzuhauchen, er hat nicht blos zu organi- siren, zu controliren und zu führen, sondern er spielt eine Anzahl Nebenrollen: i. die eines Goldsuchers, 2. die eines Pionniers des technischen Fortschrittes, 3 . die eines Wellenbrechers.» (Dr. Julius Wolf, «Socialismus und capitalistische Gesellschaftsordnung», Stuttgart 1892.) «Der Unternehmer ist es, der die Arbeitsgelegenheiten schafft und vervielfältigt; er ist es, der die Initiative zur Production ergreift, der sie leitet und zum Ziele führt; er ist es, der die Versorgung der Consumenten übernimmt; denn um ihre von ihm vorausgesehenen Bedürfnisse zu befriedigen, arbeitet er, und indem er ihnen Dienste leistet, sichert er sich einen Gewinn. Sein Werk ist es, dass die vielfältigen Bedürfnisse der im Gesellschaftsverbande lebenden Menschen pünktlich und gewissermassen automatisch befriedigt werden. Und gleichwohl ist sein Gewinn problematisch. Wenn er schlecht gerechnet hat, so bleibt nach Zahlung der Löhne, der Miethe, der Zinsen für ihn nichts; er läuft alle Gefahren des Unter­nehmers, und darum kommt im Falle des Gelingens der Gewinn ganz und ausschliesslich ihm zu.» (M. Block, Les Progrès de lEconomie nationale depuis Adam Smith.)

2 ) Vortrag von Dr. Werner Siemens in der Versammlung der deutschen Naturforscher und Aerzte im Jahre 1886.

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