gestellten Webereien und Stickereien der nicht von der unsteten und gedankenlosen euro­päischen Mode beherrschten Völker des Orients öffneten zuerst die Augen für zugleich kräftige und harmonische Farbenwirkungen, die seit einem halben Jahrhundert im Abendlande von der Decoration der Innenräume als unfein, als bäurisch so gut wie ausgeschlossen waren. In des Oesterreichers Natur lag die Farbenscheu gewiss nicht, aber sie war auch ihm von der zur Mode gewordenen Doctrin aufgenöthigt worden. Denn der Classicismus erkannte, getreu dem Beispiele des neurömischen Stils der französischen Republik und des Kaiserreiches, neben dem Weiss des Marmors nur Gold und pompejanisches Roth als zulässig an, auch wenn es sich um minder pomphafte Einrichtungen handelte. Zwar hatte Gottfried Semper, der grosse Künstler und Gelehrte, der so vielfach Bahnbrecher geworden ist, schon 1834 an griechischen Bauwerken nachgewiesen, dass dort die Färbung des Marmors keineswegs grund­sätzlich verschmäht worden, sondern die Farblosigkeit eine Folge der Verwitterung der auf­getragenen Erdfarben sei. Allein bei Gelehrten und Künstlern war die Ansicht festgewurzelt, eine auch nur theilweise Bemalung des herrlichen, glänzenden Materials dürfe als Barbarei dem kunstsinnigen Griechenvolke gar nicht zugetraut werden; und die Gypsabgüsse, die uns mit antiken Gestalten bekannt machen, hatten es im gebildeten Publicum vollends zum Glaubenssatze gemacht, dass sich mit der Plastik nur das reine Weiss vertrage. Von dem Marmor und der Plastik hatte sich die Vorherrschaft der weissen Farbe auf die lackirten Mobilien ausgedehnt, es konnte durch Gold und Roth (letzteres für Polster, Thürvorhänge u. dgl.) gehoben werden, und wenn schon dem natürlichen Verlangen nach Farbe, z. B. in der Frauen­kleidung, etwas nachgegeben werden musste, so behalf man sich mit den schüchternsten zarten Nuancen. Alles Mehr wäre unfein gewesen. Nun aber lehrten in London vornehmlich indische Textilarbeiten (Ostasien war noch schwach vertreten), dass entschiedene Färbung durchaus nicht unkünstlerisch wirken müsse, dass bei Nebeneinanderstelluncf verschiedener Farbentöne deren Werth und Charakter zu erwägen sei, dass vielfarbige Flächen, die in der Nähe gesehen völlig bunt erscheinen, in gewisser Entfernung einen einheitlichen, hier warm, behaglich, dort frisch und heiter gestimmten Eindruck machen können. Das war eine sehr wichtige, folgenreiche Entdeckung, und ähnlicher Entdeckungen sollte die erste «Welt­ausstellung», von der die meisten Besucher zunächst neue Erfindungen, Wunder der Mechanik und der Naturforschung erhofft hatten, noch manche bringen.

Für das Kunstgewerbe war nebst der Einsicht in das Wesen der Farbenharmonie vor Allem die Erkenntnis überraschend, dass ferne Völker sich während vieler Jahrhunderte natürliches Kunstgefühl, nationale Kunstformen und hiermit besondere Arten der Kunsttechnik bewahrt hatten, die uns verloren gegangen waren. Und Hessen sich nicht auch in Europa Entdeckungen ähnlicher Art machen, alte Kunstweisen wiederfinden, die, von dem Mode­geschmack verachtet, in der Stille fortgelebt hatten? Empfahl es sich nicht, von noch anderen Perioden als dem griechischen und römischen Alterthum zu lernen?

Die Empfindung, dass die damalige Gegenwart sich verirrt habe und schauend und lernend wieder auf den rechten Weg zu kommen suchen müsse, wurde gleich lebendig in allen Ländern. Geregt hatte sie sich allerdings schon lange, die Sehnsucht, von den engen Fesseln des erstarrten Classicismus befreit zu werden. Deutsche Maler hatten sich, wie ein halbes Jahrhundert später britische, in das 15. Jahrhundert, zu Fiesoie u. s. w. geflüchtet, die lite­rarische Schule der Romantiker hatte sich das unsterbliche Verdienst erworben, der alten deutschen Kunst wieder zur Anerkennung zu verhelfen, und damit kam der Glaube an die Gothik als die wahre und einzige germanische Kunst auf, während auf anderen Seiten will-

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