kürlich in den Vorrath von Ornamentbruchstücken gegriffen wurde, die aus der Erinnerung an formen- und farbenfrohere Perioden haften geblieben waren. Die Ueberzeugung von dem natürlichen Zusammenhänge zwischen Construction und Zierat war eben verschwunden, und so konnte die sogenannte Heideloffsche Gothik Boden gewinnen, die das Wesen des Stils in den Zierformen suchte, so wie die aus der Kopenhagener Schule hervorgegangenen Künstler immer wieder auf das Empire zurückführten. Stillosigkeit und Stilgemenge blieben das Charakteristische der Zeit. Wohl lebte in den jüngeren Wiener Architekten der Drang, aus dem Zustande der Verflachung und des Durcheinanders sich herauszuarbeiten. So erhielt unter lebhafter Zustimmung der fachmännischen Jugend der Schweizer Joh. Georg Müller den Preis für den romanischen Entwurf der Altlerchenfelder Kirche, und für die Votivkirche war ein gothischer Bau als selbstverständlich angenommen. Aber dem künst­lerischen Empfinden Wiens lag die Renaissance viel näher, an deren einstige Herrlichkeit noch so edle Schöpfungen freudig erinnerten, wie beispielsweise das Portal der Salvatorkapelle.

Hier setzten Eduard van der Nüll und seine besten Schüler, wie Heinrich Ferstel ein, und ihnen dankt das Wiener Kunstgewerbe die erste und zugleich kräftigste Anregung zu stilgerechtem Schaffen. Ueberblicken wir die Reihe der österreichischen Aussteller in London 1851, so begegnen wir übrigens schon der Mehrzahl der Namen, die sich in den folgenden Jahrzehnten Weltruf erwerben sollten.

So werden in damaligen Berichten im Textilfache besonders hervorgehoben die den englischen und französischen Waaren zum Verwechseln gleichartigen und gleichwerthigen Seidengewebe, Sammte, Möbel- und Paramentstoffe von Bujatti, Decorationsstoffe von Bossi, Wollsammte und Teppiche, damals noch im französischen naturalistischen Geschmacke, von Philipp Haas (geb. 1791); Wiener Shawls (Hlawatsch & Isbary) etc. concurrirten mit den französischen; gemusterte Leinen der gräflich Harrachschen Fabrik in Jannowitz in Mähren und von Alois Regenhart (geb. 1815), farbige und bedruckte Kattune von Franz Leitenberger in Kosmanos (18011854), ferner Papiertapeten mit der Neuerung des Druckes mit Temperafarben von Spörlin & Zimmer mann verdienten sich das Lob, durch Geschmack und zugleich Wohlfeilheit den Vorrang anzustreben. Handspitzen erlagen noch der Concurrenz der englischen Maschinenspitzen.

Der Möbeltischlerei konnte nachgerühmt werden, dass sie im Gegensätze zu der deutschen ernstlich bemüht war, den «Sieg über die Fremdländerer» dadurch zu erringen, dass sie sich «die eigene Vergangenheit und Kunstgeschichte. wieder ins Bewusstsein rief». An der Spitze der Möbelindustrie stand damals Lei stier in Wien, der die grössten Anstren­gungen gemacht hatte, durch luxuriöse, solid gearbeitete Möbel aus kostbaren Hölzern sich hervorzuthun, aber das richtige Verhältnis zwischen Zweckmässigkeit und Reichthum der Erscheinung noch nicht gefunden hatte. In seinem Geschäfte thätig war der Holzbildhauer Franz Schönthaler, der von dem Besuche der Ausstellung die fruchtbarsten Eindrücke mitnahm und sie dann trefflich zu verwerthen wusste. Von Wien aus brachte auch bald Michael Thonet aus Boppart am Rhein seine wichtige Erfindung, hartes Holz durch Pressung in Metallformen zu biegen, auf den Weltmarkt und veranlasste einen völligen Um­schwung in der Bildung einfacher Sitzmöbel.

Edelmetallarbeiten kamen nicht in einer dem Zweige entsprechenden Bedeutung zur Anschauung. Goldketten in Venezianerart von Bolzani & Füssl fanden Anerkennung, ein silberner Toilettespiegel von J. Ratzersdorfer wurde prämiirt, aber plattirte oder galvanisch versilberte Waare (in erster Linie Alpaccasilber der 1843 gegründeten Fabrik A. Schoeller

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