Als nun der nächste Weihnachtsmarkt herankam, und bei dieser Gelegenheit dem Publicum zum ersten Male die Erzeugnisse der hiesigen Papier-Confection in reicher Auswahl und vorzüglicher Ausstat­tung zur Wahl der Weihnachts- und Neujahrsgeschenke vorgelegt wurden, da fanden diese schönen preis­würdigen Collectionen eine so willige, ja vielbegehrte Aufnahme, dass die junge Industrie nicht nur einen neuerlichen Sieg zu verzeichnen hatte, sondern dass offenbar eine vollständig gesicherte Position für sie gewonnen erschien.

Nun gieng es in der Entwickelung der Papier-Confection rastlos vorwärts. In der künstlerischen Ausführung ihrer Arbeiten den ausländischen Erzeugnissen mindestens ebenbürtig, hatte sie in der Zahl und Auswahl der Muster die französische Concurrenz z. B. bald überflügelt und erstarkte in diesem glücklichen Kampfe so, dass im Jahre 1870, als Paris cernirt und vom europäischen Markte abgeschnitten war, die Wiener Production die Lücke ausfüllen und den auswärtigen, insbesondere den deutschen Markt versorgen konnte.

Und die junge Industrie verstand es auch, die Absatzgebiete, die sich ihr durch die vorerwähnte günstige Conjunctur erschlossen hatten, dauernd festzuhalten.

Ihre Erzeugnisse wurden tonangebend für den Geschmack in dieser Richtung im In- und Auslande, ihre Artikel wurden Modesache.

Freilich hatte sie dabei auch mit allen Vor- und Nachtheilen eines Modeartikels zu rechnen.

Unersättlich ist in einem solchen das Verlangen des Publicums nach dem Reiz der Neuheit. Hat sich dieser verloren, so treten die schönsten, künstlerisch ausgeführten Stücke in die zweite Linie zurück und müssen durch neue, vielleicht nicht immer bessere abgelöst werden.

Auch unsere Papier-Confection machte alle diese Erfahrungen.

Von Saison zu Saison musste der Briefpapierschmuck geändert oder doch technisch vervollkommnet werden, und immer blieb Originalität der Muster eine Hauptbedingung. Aus Flur und Wald, aus Stadt und Dorf, aus Museen und Sammlungen, aus der jetzt lebenden Welt und aus dem todten Alterthum wurden die Anregungen geholt.

Hervorragende Tagesereignisse boten verwendbaren Stoff; Feierlichkeiten, Volksfeste und Volks­trachten, Gesellschaftsclassen, alle Stände und Berufe, sie waren mit ihren charakteristischen Merkmalen im Bilde festgehalten.

Charakterköpfe und Aussprüche berühmter Männer alter und neuer Zeit, Musiknoten aus populären Compositionen, Liedertexte, ganze Journalarbeiten in mikrophotographischer Ausführung, wir finden das Alles in sorgfältiger, genauer Wiedergabe und künstlerischer Anordnung und Durchführung zum Schmuck des Briefpapieres verwendet. Und heute kann man wahrlich sagen, dass keine Phase des menschlichen Lebens, kein Motiv aus Natur oder Kunst zum Zwecke des Briefpapierschmuckes unbenützt geblieben ist, und zwar in so hoher technischer Vollendung, dass die Kunst der Ausführung der Motive vielleicht nur übertroffen werden könnte von der Kunst, neue Motive zu finden oder zu erfinden.

Schreiber dieses hat in seinem Archive in der Theyerschen Fabrik eine ziemliche Anzahl dick­leibiger Bände stehen. Sie enthalten in chronologischer Reihenfolge Muster des Bilder- und Prägeschmuckes aus den Jahren 1864 bis heute und reichen nunmehr von Nr. 1 bis Nr. 5000.

Es ist nicht uninteressant, an der Hand dieser Sammlung die Entwickelung der Papier-Confection von ihren Anfängen an bis in unsere Zeit zu verfolgen und in kurzer Uebersicht wiederzugeben.

Um bei der Fülle des Materiales den hier gegebenen Raum nicht zu überschreiten oder den Leser zu ermüden, empfiehlt es sich, die einzelnen Jahre in Gruppen zu fassen und die Sorten der Bilder nur nach ihren hervorragenden Typen zu bezeichnen.

Betrachten wir in erster Gruppe die Jahre 1870 bis 1873. In diese Zeit fällt die Schaffung von Cassetten mit Briefen und Couverts in verschiedener Grösse und in verschiedenen Papiergattungen ohne jede Verzierung für den täglichen Gebrauch.

Nun wurde eben, wie schon früher erwähnt, ein gewaltiger Schritt nach vorwärts gethan; es wurden Briefe und Couverts aus einer und derselben Papiergattung erzeugt, und zwar waren es die Papier-Con- fectionäre, welche, indem sie Beides, Briefpapier und Couvert, gleichzeitig erzeugten, den Papierhändler vom Couvertfabrikanten unabhängig machten.

Von der Fabrication der einfachen Cassetten wurde nun zu deren Ausschmückung geschritten, die durch Prägung bewerkstelligt wurde. Diese wurde mit in einfachen Contouren gravirten Stempeln vorge­nommen und theilweise mit Handmalerei verziert.

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