Bild, wenn wir uns zum Durchschreiten eines Etablissements entschliessen, in welchem alle Manipulationen dieser Industrie von dem ersten Schnitt der Briefpapierformate und dem Ausstanzen des einfachsten Cou­verts bis zur Anbringung des reichsten Schmuckes auf ihnen und bis zur Herstellung der kunstvoll aus­geführten Cartons und Cassetten vor unseren Augen vorgenommen werden, und wo wir alle diese kleinen Kunstwerke vor unseren Augen entstehen sehen.

Der Leser sei eingeladen, uns speciell an jene Stätte zu folgen, wo unsere junge Industrie sozu­sagen die ersten Gehversuche gemacht, wo sie unter bangen Befürchtungen für ihre Zukunft gehegt und gepflegt wurde, bis sie endlich zur heutigen Grösse emporgewachsen ist.

Wir betreten ausgedehnte Räumlichkeiten, die sich rund um das Etablissement durch drei Stock­werke hindurchziehen. Längst über den anfänglichen kleinen Handbetrieb hinaus hat sich heute unsere Industrie schon die Technik mit ihrem schweren Maschinenbetrieb dienstbar gemacht; unablässig heben und senken sich die langen Messer der Schneidemaschinen, und die bis zur Härte des Holzes gepressten Papierconvolute werden unter leichtem Knirschen wie weiche Brotrinde durchschnitten.

Die Leistungsfähigkeit der alten Constructionen genügt heute nicht mehr für die geforderte Schnellig­keit im Arbeiten; immer neue Verbesserungen werden angebracht, und eine der sinnreichsten gestattet nach je einem leichten Hebelzuge und ohne zeitraubendes, neuerliches Einlegen des gepressten Papieres den zweiten und dritten Formatschnitt.

Mit zauberhafter Schnelligkeit liegt das fertige Format vor uns, und nun gehts an das Sortiren der einzelnen Bogen, die ohne Aufenthalt von Hand zu Hand ihren Weg in jene Räumlichkeiten nehmen, wo sie mit Druck, mit Prägung, mit Goldschnitt oder mit irgend einem anderen Schmucke versehen werden. In grossen Sälen stehen in langen Doppelreihen die Prägepressen von der kleinen, durch leichten Druck einer weiblichen Hand zu regierenden angefangen bis zur klobig massiven, die kaum von der Kraft des männlichen Arbeiters bewältigt wird.

In diesen Sälen wird die kräftige Hochpressung, der Druck en relief hergestellt, aber auch jene zarte, kaum sichtbare Contourenpressung, die erst wieder unter anderen Händen ihre Färbung, Bronzi- rung, Bemalung, kurz ihre Finalisirung findet.

Jetzt kommen wir in die Räume der Couvertfabrication. Da stehen die Stanzen, die mit motorischer Kraft betrieben, aus den unterlegten Flachpapieren die gangbarsten Couvertformate ausstanzen.

Zu diesem Behufe wird zunächst das Flachmaterial in Schichten von 20 bis 25 und mehr Bogen der Stanze unterlegt und mittelst eines sogenannten Ringeisens, welches die äussere Form des flachliegenden Couvertschnittes besitzt, durchpresst.

Die ausgestanzten Blätter kommen dann auf die Gummirmaschinen, in denen jene Klappe, welche beim Gebrauche des Couverts zum Schliessen desselben dient, mit Gummi versehen wird.

So hergerichtet gelangen die Blanquettes nunmehr auf die Faltmaschinen, welche die flachliegenden Seitenklappen auf mechanischem Wege umbiegen und kleben.

Die bedeutenden Fortschritte, welche die Couvertfabrication in neuerer Zeit aufzuweisen hat, sind zunächst den Vervollkommnungen in diesem Zweige der Maschinen-Industrie zu danken.

Letztere verstand es, jene ausserordentlich leistungsfähigen Maschinen herzustellen, bei welchen die bereits* ausgestanzten Couvertblanquettes automatisch eingeführt, die Schlussklappe selbstthätig gummirt, die Flügel umgebogen und geklebt, die Couverts also fix und fertig von der Maschine herausgegeben werden.

Auf diesen Maschinen wird die Massenfabrication betrieben, namentlich werden mit ihnen die ein­fach ausgestatteten Mercantilcouverts erzeugt.

Ausser den Maschinenstanzen sind aber noch hunderte von blankgeschliffenen, sogenannten Ring­eisen in verschiedensten Formen und Grössen in Verwendung, mit welchen specielle Couvertformen aus­geschlagen werden. Dennoch reichen die vorhandenen Eisen nicht hin, die Launen des Publicums zu be­friedigen ; viele aussergewöhnliche Formen und Verschlussarten der Couverts erfordern Handarbeit.

Das Versehen der Briefe, Karten und Couverts mit Gold- und anderen Metallschnitten, und der in den letzten Jahren erfundene Schrägschnitt bildet eine eigene, nicht unbedeutende Arbeitsmanipulation, die theils durch Hand-, theils durch Maschinenbetrieb ausgeführt wird und eine grössere Anzahl von Arbeits­kräften beschäftigt.

Die Parfümirung des Correspondenzmateriales, wofür- eine eigene Abtheilung besteht, ist eine wesentliche Beigabe, um die Kauflust für diesen Artikel bei der Damenwelt zu erhöhen.

Die Gross-Industrie. V.

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