Dokument 
Die Groß-Industrie Oesterreichs : Festgabe zum glorreichen fünfzigjährigen Regierungs-Jubiläum seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. dargebracht von den Industriellen Österreichs 1898 ; Fünfter Band
Entstehung
Seite
117
Einzelbild herunterladen

Im Jahre 1871 wurde das Dampfdeckverfahren von Schröder-Weinrich erfunden, das für die Raffination dieselbe Bedeutung besitzt, wie etwa das Diffusionsverfahren für die Rohzuckererzeugung. Das Verfahren wurde zuerst in Pecek eingeführt.

Auch der Verwerthung der Abfallproducte wurde alle Aufmerksamkeit zugewendet, wie das im Jahre 1871 von Sebor erfundene Melasseentzuckerungsverfahren, sowie das von Weinrich modificirte Elutionsverfahren beweist. Diese beiden Methoden wurden jedoch durch das Substitutionsverfahren von Steffen verdrängt, das besonders im Auslande die grösste Aufmerksamkeit erregte. Dieses Verfahren wurde weiter verbessert bis zur sogenannten Ausscheidung, einem Ivalk-Melasseentzuckerungsverfahren der ein­fachsten Art, welches eine grosse Verbreitung erfahren und besonders in den Melasseentzuckerungs­anstalten Deutschlands Eingang gefunden hat. Die Osmose wurde vielfach verbessert; als letzte Neuerung auf diesem Gebiete wäre der Apparat von Ivoydl & Fuchs zu nennen.

In diese Zeit fällt auch eine Aenderung der Besteuerungsart, welche für die Entwickelung der Zucker-Industrie von grossem Einfluss war, indem im Jahre 1865 die Besteuerung nach dem Rübengewichte fallen gelassen, und die Pauschalbesteuerung nach der Leistungsfähigkeit der Werkvorrichtungen eingeführt wurde. Diese Besteuerungsart bildete den Impuls zu einer ungeahnten technischen Entwickelung der Zucker- Industrie. Die Fabrikenzahl Böhmens stieg von 71 in den Jahren 1866/67 auf 164 in den Jahren 1872/73; die Fabrikenzahl überhaupt von 139 auf 256. Die Erzeugung stieg von 2,260.000 Metercentner in den Jahren 1874/75 un d auf 5,110.000 Metercentner in den Jahren 1880/81.

Bezüglich des Diffusionsverfahrens wäre hier noch zu bemerken, dass die Besteuerung nach dem Rauminhalte der Diffusionsgefässe erfolgte. Das Bestreben der Fabrikanten musste deshalb folgerichtig darauf abzielen, ihre Werksvorrichtungen derart einzurichten, dass ein möglichst oftmaliges Füllen und Entleeren der Diffusionsgefässe stattfinden konnte. Dies hatte einen förmlichen Wettkampf zwischen den einzelnen Fabriken zur Folge, indem alljährlich eine grosse Anzahl von Diffusionsbatterien neu eingeführt wurde. Wohl wurde dadurch der Steuerertrag geschmälert; dieser Nachtheil verschwindet jedoch bei der Erwägung, dass sich unter diesen Verhältnissen nicht nur die Zucker-Industrie hoch entwickeln konnte, sondern auch der Impuls zur Schaffung und Entwickelung der heute hochangesehenen österreichischen Maschinen-Industrie gegeben wurde.

Um die übertriebene Ausnützung der aus der Besteuerungsart resultirenden Vortheile zu verhindern, wurden bei den Diffuseuren Zählwerke eingeführt und die Maximalzahl der gestatteten Füllungen und Entleerungen in 24 Stunden festgesetzt; schliesslich wurde auch der Steuerertrag contingentirt, und zwar 1878/79 auf 6 Millionen und 1880/81 auf 10 Millionen Gulden.

Die Gründung so zahlreicher Zuckerfabriken hatte nicht nur eine Entwickelung der Maschinen­industrie, sondern auch eine grosse Ausdehnung des Rübenbaues zur Folge; um diese Zeit wurden auch die höchsten Rübenpreise gezahlt. Die Erzeugung stieg beständig und erreichte im Jahre 1884/85 die für die damalige Zeit enorme Höhe von 6V2 Millionen Metercentner, während Deutschland damals bereits 11 Millionen, die Rübenzucker-Industrie überhaupt 25 Millionen, die Colonialzucker-Industrie 22 Millionen Metercentner erzeugte.

Diese maasslose Ueberproduction führte die schwerste Krise herbei, welche die Zucker-Industrie je durchzumachen hatte, denn der Preis für Rendementzucker ab Prag fiel im Jahre 1884 von 29 fl. auf 19 fl. (inclusive der damaligen Steuer von 9 fl. 40 kr.). Die Zucker-Industrie erhoffte damals von einem Ein­greifen der Staatsgewalt, beziehungsweise von einer Steuererleichterung eine Behebung der Krise; wieder tauchte eine Reihe von Rettungsvorschlägen auf, die zwar alle gut gemeint waren, jedoch nicht so rasch Gesetz werden konnten, um helfend einzuwirken. In dieser bedrängten Lage schritt die Zucker-Industrie, ohne organisirt zu sein, zu einem einschneidenden Acte der Selbsthilfe. Der Rübenbau wurde energisch eingeschränkt und so die Erzeugung der Campagne 1885/86 auf 3-7 Millionen Metercentner herunter­gedrückt. Da ein ähnlicher Vorgang mehr oder weniger auch im Auslande beobachtet wurde, war die Krisis behoben. Bei der zehn Jahre später wieder eingetretenen Krise war ein analoger Vorgang leider trotz aller Organisation und Bestrebungen nicht mehr zu erreichen.

In jene Zeit fallen bereits die Verhandlungen wegen eines neuen Zuckersteuergesetzes. Allgemein war man davon überzeugt, dass alle bisherigen Steuersysteme, welche auf einer Besteuerung des Roh­materiales beruhen, in Hinkunft nicht mehr aufrecht erhalten werden können, sondern dass nur das fertige Product die Besteuerungsbasis bilden müsse. In einer grossen, in Prag abgehaltenen Versammlung erklärten

117